Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Friedensrichter oder sein Sohn?«
»Keiner von beiden, sondern William, der Kutscher. Mitten durchs Herz geschossen – konnte keinen Laut mehr von sich geben.«
»Wer hat ihn denn erschossen?«
»Der Einbrecher. Er floh wie ein Pfeil davon und ist entkommen. William kam gerade dazu, als der Kerl das Vorratskammerfenster eindrückte. Während er seines Herrn Eigentum rettete, fand er selbst den Tod.«
»Wann war das?«
»Letzte Nacht, Herr, gegen zwölf Uhr.«
»Wir werden gleich nachher hinübergehen, um uns näher danach zu erkundigen«, sagte der Oberst und frühstückte gelassen weiter. »Eine abscheuliche Geschichte«, fuhr er fort, als der Hausmeister sich entfernt hatte. »Der alte Cunningham ist ein recht braver Mann und der angesehenste Gutsbesitzer von Reigate. Er wird sich die Sache schrecklich zu Herzen nehmen, denn der Kutscher ist seit Jahren in seinem Dienst und hat sich immer gut gehalten. Offenbar waren es dieselben Schurken, die bei Acton eingebrochen sind.«
»Wo sie die merkwürdige Auswahl von Gegenständen gestohlen haben?«, sagte Holmes nachdenklich.
»Jawohl.«
»Hm! Möglich, dass es die einfachste Sache von der Welt ist – aber auf den ersten Blick scheint es doch sonderbar, meinen Sie nicht auch? – Diebe, die in Landhäusern einbrechen, pflegen sonst den Schauplatz ihrer Taten zu verändern und nicht innerhalb weniger Tage bei zwei Nachbarn einen Besuch abzustatten. Als Sie gestern Abend von Vorsichtsmaßregeln sprachen, fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, dass dieser Bezirk für den Augenblick wahrscheinlich so sicher vor den Räubern sei wie kein anderer. Ein Beweis, dass ich noch immer viel zu lernen habe.«
»Vermutlich ist der Dieb ein Ortsangehöriger«, sagte der Oberst. »Das erklärt auch, warum er sich gerade Acton und Cunningham ausgesucht hat, die beiden größten Grundbesitzer der Gegend.«
»Auch die reichsten?«
»Von Haus aus ja; aber sie haben jahrelang miteinander im Prozess gelegen und sind dabei tüchtig geschröpft worden. Der alte Acton erhebt Ansprüche auf Cunninghams halbes Gut, und die Advokaten haben mit beiden Händen zugegriffen.«
»Wenn der Dieb von hier ist, wird man ihn ohne Schwierigkeit fangen können«, äußerte Holmes und gähnte dazu. »Ich weiß schon, was Sie sagen wollen, Watson; aber seien Sie nur ruhig, ich mische mich nicht hinein.«
In diesem Augenblick riss der Hausmeister die Tür auf: »Polizeiinspektor Forcester!«, meldete er.
Der Beamte, ein junger Mann mit klugem, durchdringendem Blick, trat rasch ein. »Guten Morgen, Herr Oberst«, sagte er, »entschuldigen Sie, wenn ich störe. Mir wurde gesagt, Mr Holmes aus der Baker Street sei hier.«
Der Oberst machte eine Handbewegung nach meinem Freund hin, und Forcester verbeugte sich.
»Wir glaubten, Sie würden es vielleicht der Mühe wert erachten, mit hinüberzukommen.«
»Das Schicksal erklärt sich gegen Sie, Watson«, sagte Holmes lachend. »Wir sprachen gerade von der Angelegenheit, als Sie kamen, Herr Inspektor. Vielleicht berichten Sie uns noch einige Einzelheiten.«
Die Art, wie er sich bei diesen Worten in den Stuhl zurücklehnte, war mir wohlbekannt. Ich sah ein, dass jeder Widerspruch nutzlos sein würde und ich der Sache ihren Lauf lassen müsse.
»Der Einbruch bei Acton ist ganz unaufgeklärt geblieben. Aber diesmal fehlt es uns nicht an Anhaltspunkten, und es handelt sich ohne Zweifel um den nämlichen Verbrecher. Der Mann ist gesehen worden.«
»Wirklich!«
»Ja, gewiss. Aber nachdem er den Schuss abgegeben hatte, der den armen William Kirwan das Leben kostete, ist er entflohen wie ein gehetztes Wild. Mr Cunningham sah ihn aus dem oberen Schlafstubenfenster und sein Sohn Alec vom Hausflur aus. Um drei Viertel zwölf ist der Lärm entstanden. Der alte Cunningham war gerade zu Bett gegangen, und Mr Alec saß im Schlafrock da und rauchte noch eine Pfeife. Beide hörten den Kutscher William nach Hilfe rufen; Mr Alec lief hinunter, um zu sehen, was es gäbe. Die Hintertür stand offen, und als er am Fuß der Treppe war, sah er draußen zwei Männer, die miteinander rangen. Da fiel ein Schuss, der eine Mann sank zu Boden, der Mörder aber stürzte durch den Garten und sprang über die Hecke. Cunningham sah noch vom Fenster aus, wie der Kerl die Landstraße erreichte, dann verlor er ihn aus dem Gesicht. Mr Alec blieb bei dem Sterbenden, um zu versuchen, ob noch Hilfe möglich sei, und so hatte der Bösewicht Zeit, zu entkommen. Wir wissen nur, dass es ein
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