Sherlock Holmes - gesammelte Werke
überschüttet wurde, fand ich ihn in einem Zustand tiefster Niedergeschlagenheit. Was die Polizei dreier Länder vergebens versuchte, war ihm gelungen – er hatte dem vollendetsten Schwindler von ganz Europa in die Karten gesehen und ihm das Handwerk gelegt; aber nicht einmal dies Bewusstsein vermochte ihn aus seiner völligen Erschlaffung aufzurütteln.
Schon nach drei Tagen langten wir zusammen wieder in der Baker Street an, aber bald stellte sich heraus, dass Holmes dringend eine Luftveränderung brauchte, und auch für mich hatte der Gedanke, eine Woche im Frühling auf dem Land zuzubringen, großen Reiz.
Mein alter Freund, Oberst Hayter, dem ich in Afghanistan ärztlichen Beistand geleistet, wohnte seit einiger Zeit in der Nähe von Reigate in Surrey und forderte mich wiederholt auf, ihn doch einmal in seinem Landhaus zu besuchen. Noch kürzlich hatte er geäußert, er würde auch meinen Freund, falls er mich begleiten wollte, sehr gern als Gast bei sich empfangen. Es bedurfte zuerst einiger Überredungskünste, aber als Holmes erfuhr, es sei eine Junggesellenwirtschaft und er könne dort völlige Freiheit haben, ging er auf meine Pläne ein. Etwa eine Woche nach unserer Rückkehr aus Lyon befanden wir uns bereits unter Hayters gastlichem Dach. Der Oberst war ein wackerer alter Krieger, der viel von der Welt gesehen hatte, und meine Erwartung, dass Holmes und er allerlei gemeinsame Anknüpfungspunkte finden würden, ging rasch in Erfüllung.
Am Abend unserer Ankunft saßen wir nach Tisch in des Obersten Bibliothek. Holmes lag auf dem Sofa ausgestreckt, während ich mit Hayter die Waffensammlung in seinem Gewehrschrank musterte.
»Es wird gut sein«, sagte er plötzlich, »wenn ich eine von diesen Pistolen mit in mein Schlafzimmer hinaufnehme, zum Schutz gegen einen etwaigen Überfall.«
»Einen Überfall?«
»Ja, wir sind kürzlich hier in nicht geringe Aufregung versetzt worden. Bei dem alten Acton, einem der größten Grundbesitzer der Grafschaft, hat man letzten Montag eingebrochen. Vielen Schaden haben die Diebe nicht angerichtet, aber die Polizei ist ihrer noch nicht habhaft geworden.«
»Hat man keinen Verdacht?«, fragte Holmes mit bedeutsamem Augenzwinkern.
»Bis jetzt nicht«, versetzte der Oberst. »Die Sache ist zu geringfügig und verdient Ihre Aufmerksamkeit nicht, Mr Holmes, nach dem großen internationalen Werk, das Sie vollbracht haben. Es handelt sich nur um ein ganz gewöhnliches Verbrechen.«
»Oh, bitte sehr«, sagte Holmes bescheiden, und doch freute ihn die Anerkennung, denn er lächelte befriedigt. »Hat denn der Fall gar kein besonderes Interesse?«
»Ich glaube kaum. Die Diebe durchsuchten die Bibliothek, fanden aber wenig, was sich der Mühe verlohnte. Sie haben das Unterste zuoberst gekehrt, sämtliche Schubladen aufgebrochen und die Schränke durchwühlt, schließlich aber nur einen Band von Popes Homer, zwei plattierte Leuchter, einen elfenbeinernen Briefbeschwerer, ein kleines in Holz gefasstes Barometer und eine Rolle Bindfaden mitgenommen.«
»Was für eine merkwürdige Auswahl!«, rief ich.
»Die Kerle haben offenbar das erste Beste zusammengerafft, was ihnen unter die Hände kam.«
Holmes brummte etwas aus dem Sofa vor sich hin.
»Die Polizei sollte sich das als Fingerzeig dienen lassen«, sagte er dann. »Es ist doch ganz klar, dass ...«
Doch schon hob ich warnend die Hand in die Höhe. »Sie sind hier, um sich auszuruhen, alter Junge. Lassen Sie sich nur um Gottes willen in keine neue Untersuchung ein, solange Ihre Nerven noch ganz zerrüttet sind.«
Holmes warf dem Oberst einen drolligen entsagungsvollen Blick zu und zuckte die Achseln, worauf sich die Unterhaltung wieder in minder gefährlichen Bahnen bewegte.
Es war indessen vom Schicksal bestimmt, dass alle ärztliche Vorsicht vergebens sein sollte. Schon am nächsten Morgen drängte sich uns das Problem von selbst auf, und wir konnten es nicht länger unberücksichtigt lassen. Unser Landaufenthalt erhielt dadurch eine Bedeutung, die kein Mensch vorausgesehen hätte.
Wir saßen noch beim Frühstück, als des Obersten Hausmeister mit Hintansetzung jeder Förmlichkeit ins Zimmer gestürzt kam.
»Haben Sie’s schon gehört, Herr«, stieß er keuchend heraus, »was bei den Cunninghams geschehen ist?«
»Wieder ein Einbruch?«, rief der Oberst und hielt seine Kaffeetasse, die er eben zum Mund führen wollte, unbeweglich in der Luft.
»Nein, ein Mord.«
»Wahrhaftig? – Wer ist denn tot – der
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