Sherlock Holmes - gesammelte Werke
die Stirn in Falten gelegt und die Lippen fest aufeinandergepresst hatte. Ich wusste nicht, was für Wild wir in den dunkeln Revieren des Londoner Verbrecherviertels jagen wollten, aber an dem Gesicht dieses ausgezeichneten Jägers erkannte ich wohl, dass es sich um eine sehr gefährliche Art handeln müsse, und das gelegentliche Lächeln auf seinem sonst unbeweglichen, finsteren Antlitz war wenig glückverheißend für unsere Feinde.
Ich glaubte, wir würden zur Baker Street fahren, aber an der Ecke des Cavendish Place ließ Holmes halten. Ich bemerkte, wie er sich beim Aussteigen nach allen Seiten umschaute, und auch ferner an jeder Straßenecke vergewisserte, dass ihm niemand folgte. Wir schritten durch die dunkelsten Straßen und Gassen. Holmes hatte eine erstaunliche Ortskenntnis, und er führte mich mit größter Sicherheit und in eiligem Tempo durch ein wahres Labyrinth von Remisen, Ställen und Lagerräumen, von deren Existenz ich noch nicht einmal eine Ahnung hatte. Endlich gelangten wir durch eine enge Gasse, die von alten düsteren Gebäuden eingeschlossen war, in die Manchester- und in die Blandford Street. Hier bog er rasch in einen schmalen Gang ein, ging durch ein großes hölzernes Tor über einen öden Hof und schloss dann mit einem Schlüssel die hintere Tür eines Hauses auf. Wir traten zusammen ein, und hinter uns schloss er wieder zu.
Obwohl es stockdunkel war, merkte ich doch gleich, dass das Haus leer war. Der Fußboden knarrte, und an der Wand fühlte ich mit meiner tastenden Hand herabhängende Tapetenfetzen. Holmes fasste mich mit seinen kalten dünnen Fingern bei der Hand und führte mich in dem langen Gang weiter, bis ich den trüben Lichtschimmer von einem Fenster über einer Tür gewahrte. In dieser Ecke wandte er sich nach rechts, und wir kamen in einen großen leeren Raum. Es war ganz dunkel darin, nur in der Mitte war ein matter Lichtschein, der von der Straße her kam. Die Laterne war aber so weit entfernt und das Fenster so verstaubt und schmutzig, dass wir mit knapper Not gerade erkennen konnten, wo wir standen. Mein Gefährte klopfte mich leise auf die Schulter und flüsterte mir ins Ohr:
»Wissen Sie, wo wir sind, Watson?«
»Das ist sicher die Baker Street«, antwortete ich, während ich durch das matte Fenster blickte.
»Allerdings. Wir sind im Camden House, unserer alten Wohnung gegenüber.«
»Aber was wollen wir hier?«
»Wir haben von hier eine ausgezeichnete Aussicht auf jenen malerischen Pfeiler dort drüben. Kommen Sie bitte etwas näher ans Fenster, lieber Watson, nehmen Sie sich aber in Acht, dass Sie nicht gesehen werden, und gucken Sie mal nach unserem alten Heim hinüber – dem Ausgangspunkt von so manchem unserer kleinen Erlebnisse. Ich will sehen, ob ich Sie nach dreijähriger Abwesenheit noch überraschen kann.«
Ich schlich mich vor und sah zu dem wohlbekannten Fenster. Ein Ausruf der Verwunderung und des Erstaunens entfuhr meinen Lippen. Die Rolljalousien waren heruntergelassen, das Zimmer war hell erleuchtet und auf dem Fenstervorhang war der Schatten eines Mannes auf einem Stuhl in scharfen Umrissen deutlich wahrnehmbar. Man konnte den eckigen Kopf, die breiten Schultern und das scharfgeschnittene Gesicht genau erkennen. Das Bild sah wie eine große schwarze Silhouette aus der Zeit unserer Großeltern aus. Es war ein getreues Konterfei von Holmes. Ich war dermaßen erstaunt, dass ich meine Hand ausstreckte, um mich zu überzeugen, ob er selbst wirklich noch neben mir stände. Er barst bald vor verhaltenem Lachen.
»Gut so?«, fragte er.
»Bei Gott!«, rief ich aus. »Wunderbar!«
»Ich hoffe, dass ich in der Zwischenzeit meine Erfindungskraft nicht eingebüßt habe«, sagte er in jenem Ton der Freude und des Stolzes, den der Künstler beim Anblick seiner eigenen Schöpfung empfindet. »Es sieht mir tatsächlich ähnlich, nicht wahr?«
»Ich hätte geschworen, Sie wären’s.«
»Das Verdienst der Ausführung gebührt Mr Oskar Meunier in Grenoble, der ein paar Tage auf die Anfertigung des Modells verwandt hat. Es ist eine Wachsbüste. Die Aufstellung und alles Übrige habe ich heute Nachmittag während meines Aufenthaltes in der Baker Street selbst besorgt.«
»Aber wozu das alles?«
»Aus sehr gewichtigen Gründen, lieber Watson, weil ich gewisse Leute glauben machen will, ich sei zu Hause, während ich in Wirklichkeit anderswo bin.«
»Sie denken also, die Zimmer werden beobachtet?«
»Ich weiß, dass sie beobachtet werden.«
»Von
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