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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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das Hinaufklettern. Doch hatte ich keine Muße, lange über die Gefahr nachzudenken, ein neuer Stein rollte an mir vorbei, als ich an der Kante des Vorsprungs hing. In der Mitte des Weges rutschte ich aus und kam durch ein gnädiges Geschick, wenn auch zerschunden und blutend, glücklich unten auf dem Pfad an. Ich machte mich gleich auf die Beine, marschierte in der Nacht noch zehn Meilen weit durch das Gebirge und befand mich eine Woche später, in dem sicheren Bewusstsein, dass kein Mensch in der Welt wisse, was aus mir geworden sei, in Florenz.
    Ich hatte nur einen einzigen Vertrauten – meinen Bruder Mycroft. Ich bitte Sie vielmals um Verzeihung, lieber Watson, aber es war unbedingt notwendig, dass ich für tot gehalten wurde, und Sie würden keine so überzeugende Schilderung meines unglücklichen Endes geschrieben haben, wenn Sie nicht selbst daran geglaubt hätten. Verschiedene Male in den letzten drei Jahren war ich im Begriff, Ihnen Nachricht zukommen zu lassen, aber immer wieder hielt mich die Furcht davon ab, Ihre Zuneigung zu mir könnte Sie zu einer Unvorsichtigkeit verleiten und mein Geheimnis an den Tag bringen. Aus diesem Grund drehte ich mich auch heute Abend um, als Sie die Bücher aufhoben, denn jedes Zeichen der Überraschung und Erregung Ihrerseits hätte die Aufmerksamkeit auf meine Person gelenkt, und sehr unerwünschte und nie wiedergutzumachende Folgen haben können. Mycroft musste ich mich anvertrauen, um die nötigen Geldmittel zu erhalten. Die Ereignisse in London nahmen nicht den gewünschten Verlauf, denn von der Moriartyschen Bande befanden sich noch zwei Mitglieder, und gerade meine erbittertsten Feinde, auf freiem Fuß. Ich bereiste daher zwei Jahre lang Tibet, besuchte Lhasa und hielt mich mehrere Tage beim Lama auf. Sie haben gewiss die aufsehenerregenden Forschungen eines Norwegers namens Sigerson gelesen, aber wohl nie geahnt, dass Sie damit Nachrichten von Ihrem Freund erhielten. Danach wanderte ich durch Persien, machte einen Abstecher nach Mekka und stattete in Khartoum dem Kalifen einen kurzen, aber interessanten Besuch ab, dessen Ergebnisse ich im ›Foreign Office‹ veröffentlicht habe. Nach meiner Rückkehr nach Frankreich verbrachte ich einige Monate im Süden dieses Landes, in Montpellier, wo ich in einem chemischen Laboratorium dem Studium der Steinkohlenteerverbindungen oblag. Nachdem ich meine Untersuchungen zu einem befriedigenden Abschluss gebracht und erfahren hatte, dass nur noch einer meiner Feinde in London sei, wollte ich zurückkommen. Das mysteriöse Verbrechen in der Park Street hat meine Rückkehr noch beschleunigt. Es interessierte mich nicht nur an sich, sondern schien mir auch eine günstige Gelegenheit zur Ausführung meines Vorhabens zu sein. Ich fuhr also schleunigst nach London, begab mich in die Baker Street, versetzte Mrs Hudson in heftige Krämpfe und fand, dass Mycroft meine Zimmer und meine Sachen genau in derselben Ordnung gelassen hatte, wie ich sie verlassen. So saß ich denn, mein lieber Watson, heute Nachmittag um zwei Uhr in meinem alten Lehnstuhl, in meinem alten Zimmer, und hatte weiter keinen Wunsch, als meinen alten Freund Watson in dem anderen Stuhl zu sehen, den er so oft geziert hatte.«
    Das war die merkwürdige Erzählung, die ich an jenem April-Abend zu hören bekam – eine Erzählung, die ich nie geglaubt haben würde, wenn ich nicht die lange, hagere Gestalt und das scharfe, lebhafte Gesicht vor mir gesehen hätte, das ich nie wiederzuschauen gemeint hatte. Auf irgendeine Weise musste mein Freund auch von meinem eigenen Missgeschick gehört haben. Sein Mitleid zeigte sich mehr in seinem Benehmen als in Worten. »Arbeit ist das beste Mittel gegen Kummer und Verdruss«, sagte er nur, »und ich habe für heute Nacht ein Stück Arbeit, das allein, wenn wir’s glücklich vollenden, für einen Mann das Leben wertvoll macht.« Meine Bitte um näheren Aufschluss darüber war vergeblich. »Bis morgen werden Sie genug erfahren«, antwortete er. »Jetzt haben wir uns noch über die letzten drei Jahre zu unterhalten. Dieser Gesprächsstoff wird bis halb zehn genügen und dann wird’s Zeit, dass wir zu unserem vielverheißenden Abenteuer zum leeren Haus aufbrechen.«
    Es war tatsächlich wieder wie in den alten Zeiten, als ich um die angegebene Zeit neben ihm in der Droschke saß, den Revolver in der Tasche und gespannt auf die kommenden Dinge. Holmes war ernst und schweigsam. Im Schein der Straßenlaternen sah ich, wie er nachdenklich

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