Sherlock Holmes - gesammelte Werke
gefallen«, sagte er mit matter Stimme, aber wie mir schien, mit seiner früheren Sorglosigkeit.
»Mein lieber Holmes!«, rief ich und trat zu ihm ans Bett.
»Zurück! Zurück da!«, sagte er mit dem scharf befehlenden Klang, den seine Stimme nur in Augenblicken der Gefahr annahm. »Wenn Sie näher kommen, Watson, dann schicke ich Sie wieder nach Hause.«
»Aber warum denn?«
»Weil ich es will. Genügt Ihnen das nicht?«
Ja, Mrs Hudson hatte recht, er war herrischer denn je. Indes war es herzbrechend, seine Erschöpfung zu sehen.
»Ich kam ja nur, um Ihnen zu helfen«, erklärte ich.
»Gewiss, Sie helfen mir am Besten, wenn Sie das tun, was ich Ihnen sage.«
»Wie es Sie gut dünkt, Holmes.«
Er verzichtete auf den befehlenden Ton.
»Sie sind doch nicht ärgerlich?«, fragte er und rang nach Atem.
Armer Kerl, wie konnte ich ärgerlich sein, wenn ich ihn in diesem Zustand der Auflösung vor mir sah?
»Es ist zu Ihrem eigenen Besten, Watson«, sprach seine raue Stimme.
»Zu meinem Besten?«
»Ich weiß, was mit mir los ist. Es ist eine Kulikrankheit von Sumatra – eine Infektion, von der die Holländer mehr verstehen als wir, obwohl sie bis jetzt medizinisch noch nicht viel darüber gearbeitet haben. Eines nur steht fest: Die Krankheit ist absolut tödlich und in erschreckendem Maße ansteckend.«
Er sprach jetzt mit fieberhafter Erregung, seine Hände zuckten und sprangen, als er mich abwehrte.
»Ansteckend durch Berührung, Watson – das ist es: durch Berührung! Bleiben Sie mir vom Leib, und Sie sind nicht gefährdet.«
»Beim Himmel, Holmes, glauben Sie denn, dass eine solche Sicherheitserwägung mich auch nur einen Augenblick zurückhalten könnte? Nicht einmal, wenn der Patient ein Fremder wäre. Glauben Sie, das könnte mich abhalten, meine ärztliche Pflicht gegen einen so alten Freund zu erfüllen?«
Abermals trat ich an sein Bett, aber er trieb mich mit einem Blick voll wilden Ärgers zurück.
»Wenn Sie dort stehenbleiben wollen, dann werde ich sprechen. Wenn nicht – da ist die Tür!«
Ich hatte eine so große Hochachtung vor den außerordentlichen Fähigkeiten meines Freundes, dass ich mich seinen Wünschen stets gefügt habe, auch dann, wenn sie mir völlig unbegreiflich waren. Aber jetzt waren alle meine medizinischen Instinkte wach geworden. Mochte er unter anderen Umständen mir befehlen – ich befand mich jetzt als Arzt in einem Krankenzimmer.
»Holmes«, sagte ich, »ich darf Sie nicht ernst nehmen. Ein kranker Mann ist bloß ein Kind, und so muss ich Sie behandeln. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, ich werde Sie untersuchen und dem Befund gemäß ärztlich behandeln.«
Er sah mich mit geradezu giftigen Augen an.
»Wenn ich einen Doktor haben soll, einerlei ob ich mag oder nicht, dann möchte ich wenigstens einen haben, der mein Vertrauen verdient«, sagte er.
»Also ich verdiene Ihr Vertrauen nicht?«
»Als Freund restlos. Aber Tatsachen sind Tatsachen, Watson, und alles in allem sind Sie nur ein durchschnittlicher praktischer Arzt von mittelmäßiger Begabung und mit sehr begrenzter Erfahrung. Es ist schmerzlich, Ihnen so etwas sagen zu müssen, aber Sie lassen mir ja keine andere Wahl.«
Das war bitter.
»Solche Worte sind Ihrer unwürdig, Holmes. Sie zeigen mir aber mit aller Deutlichkeit Ihren wahren Nervenzustand. Jedoch, wenn Sie kein Vertrauen zu mir haben, so werde ich Ihnen meine Dienste nicht aufdrängen. Ich will gehen und Sir Jasper Meek oder Penrose Fisher oder einen der besten Ärzte Londons holen. Sie müssen ärztliche Hilfe haben, und dabei bleibe ich. Wenn Sie glauben, ich würde hier stehen bleiben und zuschauen, wie Sie sterben, ohne dass ich Ihnen helfe oder fremde ärztliche Hilfe bringe, dann haben Sie meine Freundschaft unterschätzt!«
»Sie meinen es ja gut, Watson«, sagte der kranke Mann mit einem Seufzer. »Soll ich Ihnen Ihre Unwissenheit nachweisen? Was wissen Sie denn vom Tapanuli-Fieber? Was wissen Sie denn von der schwarzen Formosa-Eiterung?«
»Ich habe weder vom einen noch vom anderen gehört.«
»Es gibt noch so manche unerforschte Krankheiten, so viele seltsame, pathologische Möglichkeiten im fernen Osten, Watson.«
Er setzte nach beinahe jedem Wort aus, um Atem zu holen. »Ich habe so viel gelernt bei meinen kürzlichen Untersuchungen auf medizinisch-kriminellem Gebiet. Bei diesen Forschungen habe ich mir die Krankheit zugezogen. Sie sind machtlos dagegen.«
»Sie mögen recht haben. Zufällig aber weiß ich, dass Dr.
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