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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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des Kaisers Louis Napoleon, der sich selbst den Titel Napoleon der Dritte gab. Ferner behauptete er, ein Neffe des Kleinen Korporals zu sein, aber meiner Meinung nach war er genausowenig Napoleons Neffe, wie ich es bin. Er war ein Spitzbube, der Gerissenheit und Frechheit in gleichem Maße in sich vereinte, als er die Macht ergriff und sich zum Herrscher eines vermeintlichen zweiten Kaiserreichs ausrufen ließ.
    Dieser Napoleon, der so echt war wie ein Piratenkönig in einer komischen Oper, erklärte seinem Architekten, einem Baron Haussmann, daß Paris einer ›Erschließung‹ bedürfe, wenn es als moderne europäische Hauptstadt, die diesen Namen verdiene, einen Vergleich mit dem Rest der Welt aushalten sollte.
    Die wahren Gründe des Kaisers schienen jedoch weit einfacherer Natur gewesen zu sein. In seiner langen Geschichte hatte Paris sein Teil an Revolutionen und Aufständen mitgemacht, und jedesmal, wenn es zu einem solchen Aufruhr kam, hörte man denselben Schrei: ›Aux barricades!‹ Da die Straßen so zahlreich und so eng waren, fiel es dem rebellischen Pöbel niemals schwer, sie mit Möbelstücken und Wagen zu verschließen und auf diese Weise die Kräfte der Obrigkeit dazu zu zwingen, jede Straße, ja sogar jedes Haus einzeln zu nehmen.
    Ob Hausmann wußte oder sich dafür interessierte, welches Louis Napoleons wahre Motive waren, konnte ich von Thomas Cook nicht erfahren, aber der Architekt erfüllte seine Mission jedenfalls mit messianischem Eifer. Er verschaffte sich eine Karte der Stadt und zeichnete, beginnend beim Arc de Triomphe, zwölf Linien hinein, gleich den Speichen eines Rades oder den Strahlen eines Sterns. Aus jeder dieser Linien machte er einen breiten Boulevard, so breit, daß niemand jemals mehr in der Lage sein würde, die Straßen der Stadt gegen die Autoritäten der herrschenden Ordnung zu verbarrikadieren. Während der Herrschaft des falschen Kaisers sah Paris sich einem Bauprogramm gegenüber, das beispiellos ist in der Geschichte aller anderen Metropolen der Erde. Die Stadt muß gebebt haben unter dem Getöse, muß erstickt sein in ihrem eigenen Staub, und ich kann mir nicht vorstellen, was aus den ihrer Habe beraubten Massen wurde, die zusehen mußten, wie ihre armseligen Behausungen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Verantwortlich für das Ganze war Napoleons Architekt, der Mann, der überall unter dem Namen ›Der Chirurg‹ bekannt war.
    Ich hatte mir am Bahnhof eine Karte besorgt und begann nach Beendigung meines Imbisses, in der Stadt herumzulaufen, voller Staunen über die gewaltigen Prachtstraßen, die der zynische Tyrann in seiner Regierungszeit geschaffen hatte.
    Im Gegensatz zu London war Paris eine kleine Stadt, und binnen weniger Tage war ich in der Lage, mich mit einem gewissen Teil seiner Anatomie vertraut zu machen. Ich schwelgte in der Gleichförmigkeit seiner rosafarbenen Schiefersteine, seiner grauen, Mansarden genannten Dächer und seinem blau-goldenen Himmel. Das Zwielicht, das die Pariser l’heure bleu nennen, die blaue Stunde, hat – soweit es mir bekannt ist – nirgendwo auf der Welt seinesgleichen.
    Ich begann meine Erkundungsreise, indem ich den Fluß überquerte und zur Champs Élysées ging, ein Spaziergang, von dem ich überzeugt bin, daß er ebenfalls konkurrenzlos ist auf dieser Welt. Am anderen Ende erkannte ich den riesigen Triumphbogen von Napoleon dem Ersten, aber statt den langen Weg bergauf zu nehmen, der meiner Meinung nach fast eine ganze Meile messen mußte, gestattete ich es der Schwerkraft, meine Schritte zu lenken, und schlenderte in die gegenüberliegende Richtung zum Place de la Concorde, dem ehemaligen Place de la Révolution. Dies war der Ort, an dem einst die Guillotine stand und ihr grausames Werk verrichtete, das beinahe tausendfünfhundert Opfer den Kopf kostete. Der große, quadratische Platz ging heute jedoch nicht mehr in Strömen von Blut unter, sondern wurde von Pferden und Kutschen jeder Art überschwemmt.
    Ich erinnere mich nicht mehr an all die Sehenswürdigkeiten, die ich an diesem ersten Tag besichtigte, aber ich weiß noch genau, daß jedes zweite Geschäft ein Restaurant war oder eine Brasserie, und daß, sobald ich müde oder hungrig war, immer ein Straßencafé auftauchte, in dem man seine müden Glieder ausstrecken und sich ein geradezu sündhaft gutes Essen einverleiben konnte. Es wird Sie interessieren (und vielleicht auch amüsieren) zu erfahren, daß mein Aufenthalt in Paris die einzige Zeit in meinem

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