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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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die Menge zu rufen.
    »Sing, verdammt noch mal, sing! « rief Richard der armen Frau zu, während Moncharmin sich mit einem feinen Baumwolltaschentuch verzweifelt übers Gesicht wischte.
    Noch immer versuchte der gedemütigte Sopran, dieser Aufforderung nachzukommen. In völliger Verzweiflung gab sie Leroux ein Zeichen, der seinerseits den Musikern, die sich erhoben hatten, mit wilden Gesten bedeutete, daß sie sich wieder setzen sollten. Dann begannen sie die Arie von neuem.
    » RIBITT, RIBITT, RIBITT, RIBITT, RIBITT! «
    »DAAÉ! DAAÉ! DAAÉ!«
    Schließlich konnte die unglückliche Frau es nicht mehr ertragen und floh, die Hände noch immer an den Hals gelegt, unter tumultartigem Applaus, in den sich nun auch Gejohle und Buh-Rufe mischten, von der Bühne.
    »Eine Katastrophe!«
    »Ein Unglück!« sagten die Direktoren zueinander. »Schicken Sie nach der Daaé!«
    Der Vorhang senkte sich plötzlich, und das Publikum fuhr nun in rhythmischer Einigkeit fort, den Namen des jungen Sopran zu rufen. Man konnte auch gedämpftes Rufen und leises Geklapper von Schritten hinter dem Vorhang hören.
    Als er sich wieder hob, stand La Sorellis Ersatz auf der Bühne.
    Das Haus war mittlerweile so außer sich vor Raserei, daß es eine gute halbe Minute dauerte, bevor die Zuschauer wieder auf ihren Plätzen saßen und zuhörten.
    Noch einmal stimmte das Orchester Il était un roi de Thule an. Mademoiselle Daaé sang mit dem einfachsten und reinsten Ausdruck, als seien die Musik und die Worte Ideen, die ihr gerade eben erst gekommen waren.
    Es gibt verschiedene Arten von Schweigen, Watson, insbesondere im Theater. Es gibt das aufmerksame Schweigen, dann das gelangweilte, das feindliche Schweigen und schließlich das atemlose Schweigen.
    Es war diese letzte Art des Schweigens, die Christine Daaés elektrisierende Darbietung würdigte. Ich mußte zugeben, daß das Phantom in einer Hinsicht recht hatte. La Sorelli konnte sich selbst in Bestform nicht mit diesem Mädchen messen. Sogar diese beiden unmusikalischen Scharlatane vor mir schwiegen verblüfft ob ihrer Kunst.
    Am Ende des Aktes brach das Haus in leidenschaftlichen Beifall aus. Sie verlangten augenblicklich eine Zugabe und erhielten sie auch. Diesmal war es sogar noch besser.
    Von diesem Augenblick an konnte Christine nichts mehr falsch machen. Sie zeigte alles, was sie konnte, und das Haus zollte ihr den Beifall, der ihr gebührte. Noch einmal atmete ich vor Erleichterung auf. Nobody, oder wer immer er war, hatte beschlossen, der Direktion lediglich einen bizarren Streich zu spielen. La Sorelli mußte schmachvoll von der Bühne abgehen, das stimmte, aber es war nichts wirklich Schlimmes passiert.
    In dieser Hinsicht sollte ich mich jedoch irren.
    Wir waren mittlerweile bei dem berühmten ›Juwelenlied‹ angelangt, das Mademoiselle Daaé mit solcher Meisterschaft sang, daß der Applaus und die Bravo-Rufe im Anschluß an diese Arie das Gebäude regelrecht erzittern ließen. Noch einmal mußte sie das Lied wiederholen, und der Applaus war nun ohrenbetäubend.
    » Ihr Gesang wird wie eine Bombe im Publikum einschlagen! « kam es mit einem plötzlichen, grabesstimmenhaften Flüstern, und zwar so nah, daß ich heißen Atem an meinem Ohr zu spüren glaubte. Ich muß Ihnen gestehen, Watson, daß sich mir bei diesen Worten die Nackenhaare aufstellten. Die beiden Clowns, die sie ebenfalls gehört hatten, wirbelten nun in Panik herum.
    »Wer hat das gesagt?« wollte Richard wissen. Zitternd sah er mich an.
    »Ich nicht.«
    »Ich nicht!« riefen Moncharmin und ich im Chor. Ihre entsetzten Spekulationen wurden von einem merkwürdigen Klirren unterbrochen, dem ein unangenehmes Knirschen folgte.
    Unsere Blicke hoben sich, wie die des ganzen Hauses, diesem Geräusch entgegen. Wir sahen den Mammut-Kronleuchter in seinen Verankerungen schwanken. Und diesmal war das Schweigen im Theater von einer anderen Art, ein fasziniertes, beinahe ehrfürchtiges Schweigen, nur durchbrochen durch das Klirren von zehntausend Kristallstücken und das Knirschen des Kabelbaums, das in der plötzlich eingetretenen Stille immer lauter klang.
    Obwohl ich eine rätselhafte Vorahnung von dem hatte, was als nächstes kommen würde, ein gräßliches Ahnen von Unglück, stand ich doch wie angewurzelt da, wie hypnotisiert, unfähig zu glauben, daß es tatsächlich geschehen würde. Das Phantom, so schien es, meinte die Dinge, die es sagte, absolut wörtlich. Frösche bedeuteten Frösche. Und eine Bombe, die im Publikum

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