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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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wie ein Seemann fühle, der zu lange an Land gewesen ist. Wir sollten einen Spaziergang machen.«
    Wir zahlten und machten uns auf den Weg zur Währinger Straße, wo wir rechts abbogen. Holmes hatte seine Pfeife wieder gestopft und hielt an, um sie anzuzünden, was in der leichten Brise einige Konzentration erforderte.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten, Watson«, sagte er. »Erstens, die Frau ist, wer sie zu sein erklärt; zweitens, sie ist verwirrt – oder will uns verwirren. Schauen Sie nicht so erstaunt drein, lieber Freund. Wir können es uns beim jetzigen Stand der Dinge nicht erlauben, diese Möglichkeit auszuklammern. Nun, wir lassen die Frage ihrer Identität beiseite, bis wir im Besitz weiterer Tatsachen sind. Aber über andere Elemente des Falles können wir spekulieren. Warum war diese Frau an Händen und Füßen gefesselt in einer Dachkammer eingesperrt? Sei sie nun Prinzessin oder Bettelweib, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ihre Entführer wollten ihr etwas antun, oder sie wollten sie von etwas abhalten.«
    »Das letztere scheint mir einleuchtender, da sie an Händen und Füßen gebunden war«, gab ich zu bedenken.
    Holmes sah mich lächelnd an.
    »Möglich, Watson, möglich. Aber nehmen wir die Bettelfrau als unsere Arbeitshypothese, eine Bettelfrau, die Englisch mit einem amerikanischen Akzent spricht – was könnte sie wem antun, daß jemand sich davor fürchten müßte? Und wenn jemand sich vor ihr fürchtete, warum blieb sie am Leben? Warum nicht einfach –?« Er ließ den Satz unbeendet.
    »Holmes, angenommen, diese Leute – wer immer sie sind – wollten sie beseitigen. Könnte es nicht sein, daß sie absichtlich in den Selbstmordversuch am Kanal getrieben wurde?«
    »Sie meinen, daß sie sie vorsätzlich entkommen ließen? Das glaube ich nicht, Watson. Ihre Flucht war zu waghalsig, zu genial erdacht und zu riskant, um von ihren Gegnern vorausgeahnt zu werden. Vergessen Sie nicht, sie fiel von der Regenrinne und verletzte sich am Kopf.«
    Eine Weile gingen wir schweigend weiter. Ich merkte, daß wir Freuds Haus in der Berggasse passiert hatten und allmählich auf den Kanal zugingen.
    »Wollen Sie sich die Augarten-Brücke ansehen?« fragte ich.
    »Was kann uns schon die Brücke nutzen?« erwiderte er ungeduldig. »Wir wissen, daß die Polizisten sie dort fanden und sie nicht daran hindern konnten zu springen. Nein, ich würde lieber das Gebäude finden, in dem man sie gefangenhielt. Es ist schon recht mißlich, einen Klienten zu haben, der nicht reden kann.«
    »Wie gedenken Sie denn, das Haus zu finden?« fragte ich erstaunt. »Es könnte überall in Wien sein!«
    »Nein, nein, mein lieber Doktor, keineswegs überall. Bedenken Sie, die junge Frau konnte in ihrem geschwächten Zustand keine weiten Wege zurücklegen. Sie wurde auf der Brücke gefunden, ergo ist sie von deren unmittelbarer Umgebung dorthin gelangt. Außerdem haben wir bereits auf eine schmale Gasse geschlossen, und läßt sich die nicht vor allem am Flußufer vermuten? Ein Speicher wäre naheliegend; ein Kühlhaus für Fleisch vielleicht? Wie dem auch sei, ich erwarte nicht, das Gebäude zu finden. Ich will mich nur mit der Umgebung vertraut machen.«
    Er verfiel in Schweigen und überließ mich meinen eigenen Gedanken, die, wie ich bekenne, voller Konfusion waren. Ich störte ungern seine Betrachtungen, aber je mehr ich über die Sache nachdachte, desto verwirrender wurde sie.
    »Holmes, warum würde irgend jemand sich all den Strapazen einer Flucht unterziehen, um sich bei der nächsten Gelegenheit in den Fluß zu stürzen?«
    »Eine berechtigte Frage, Watson, und eine irritierende Frage, die sich als entscheidend für unseren Fall herausstellen könnte; allerdings gibt es zahlreiche Motive. Sie hängen eng mit der Identität unserer Klientin zusammen.«
    »Vielleicht sehen wir mehr in der Sache, als eigentlich zu rechtfertigen ist«, traute ich mich zu sagen, denn ich gönnte zwar meinem Freund die therapeutische Wirkung der Jagd, aber ich wollte auch keine falschen Hoffnungen nähren.
    »Vielleicht ist sie das unglückliche Opfer eines geistesgestörten Liebhabers oder –«
    »Damit kommen Sie nicht weit, Watson«, lachte er. »Erstens ist die Frau Ausländerin. Sie antwortet unter Hypnose in amerikanischem Englisch. Außerdem haben wir den Namen Baron von Leinsdorf – sicher kein kleiner Fisch. Und schließlich«, sagte er und wandte sich mir zu, »was macht es, wenn es kein bedeutender Fall ist? Er hat seine

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