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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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tauschte einen kurzen Blick mit mir, dann widmete er sich wieder dem Mädchen. Er hustete leise und sprach sie dann auf Englisch an.
    »Nun gut, Nancy. Wie lautet Ihr voller Name?«
    »Ich habe zwei Namen.«
    »Ja, und wie lauten sie?«
    »Slater. Nancy Slater. Nancy Osborn Slater. Von Leinsdorf«, fügte sie mit erstickter Stimme hinzu. Ihr Mund bewegte sich weiter, nachdem sie aufgehört hatte zu sprechen.
    »Gut, Nancy. Entspannen Sie sich. Sagen Sie: Wo kommen Sie her?«
    »Providence.«
    Von der Vorsehung? Freud sah uns völlig perplex an, und ich vermutete für einen Augenblick, wir seien einem üblen Scherz zum Opfer gefallen – oder war ihre Phantasie ins Reich der Metaphysik abgewandert?
    Holmes löste das Dilemma. Er sagte leise, so daß nur wir ihn hören konnten: »Vielleicht meint sie Providence, die Hauptstadt von Rhode Island, dem kleinsten Staat der Vereinigten Staaten, wie ich glaube.«
    Freud nickte energisch, noch bevor Holmes geendet hatte, dann kniete er, kopfschüttelnd über die sonderbare Entwicklung, vor dem Mädchen nieder und wiederholte die Frage.
    »Ja. Providence. Rhode Island.«
    »Was tun Sie hier?«
    »Ich habe meine Flitterwochen in einer Dachkammer verbracht.«
    Ihr Mund machte wieder krampfhaft kauende Bewegungen, und ein Sprachfehler verzerrte ihre Antworten bis zur Unkenntlichkeit. So verdutzt ich über ihren Zustand und ihre unartikulierte Rede war, so empfand ich doch herzliches Mitleid für das arme Geschöpf!
    »Es ist gut, entspannen Sie sich.«
    Freud erhob sich und sah uns an.
    »Das alles ergibt keinen Sinn.«
    »Fragen Sie mehr«, drängte Holmes ihn leise. Seine Augen waren von den schweren Lidern verhängt wie der Kopf einer Kobra, aber er war alles andere als schläfrig. Wenn er so träumerisch dreinblickte und nur der aufsteigende Pfeifenrauch und seine aufrechte Haltung erkennen ließen, daß er bei Bewußtsein war, dann verriet das bei ihm den Zustand tiefster Befriedigung. »Stellen Sie ihr mehr Fragen«, wiederholte er. »Wo hat sie geheiratet?«
    Freud wiederholte die Frage.
    »Im Meat-house .« Die Sprachstörung machte sich wieder bemerkbar.
    »Im Kühlhaus?«
    Sie nickte. Freud warf uns einen Blick über die Schulter zu und schüttelte den Kopf. Holmes bedeutete ihm, fortzufahren.
    »Sie sagten, Ihr Name sei von Leinsdorf? Wer ist von Leinsdorf? Ihr Ehemann?«
    »Ja.«
    »Baron Karl von Leinsdorf?« Es gelang ihm nicht ganz, einen herausfordernden Ton in seiner Stimme zu unterdrücken.
    »Ja.«
    »Der Baron ist tot«, begann er, und die Frau, die sich Nancy nannte, sprang mit einer plötzlichen, heftigen Bewegung auf. Sie versuchte, die immer noch geschlossenen Augen zu öffnen.
    »Nein.«
    »Setzen Sie sich, Nancy. Setzen Sie sich. So ist es besser. Entspannen Sie sich wieder.« Wieder stand er auf und sah uns an.
    »Das ist äußerst sonderbar. Ihre Wahnvorstellungen halten offenbar unter dem Einfluß der Hypnose an. Das ist nicht oft der Fall«, belehrte er uns mit bedeutsamem Blick.
    »Wahnvorstellungen?« Holmes öffnete seine Augen. »Was führt Sie zu der Annahme, es seien Wahnvorstellungen?«
    »Ihre Antworten sind widersinnig.«
    »Das ist nicht dasselbe. Wer ist Baron von Leinsdorf?«
    »Ein älteres Mitglied des Hochadels. Ich glaube, er war ein Cousin des Kaisers. Er starb vor wenigen Wochen.«
    »War er verheiratet?«
    »Ich habe keine Ahnung. Ich muß bekennen, daß ich nicht weiter weiß. Es ist mir gelungen, Verbindung zu ihr aufzunehmen, aber was sie sagt, führt zu nichts. Ich weiß nicht, was ich mit ihr tun soll.«
    Er drehte hilflos seine Faust in der offenen Handfläche. Wir starrten auf die ungewöhnliche Patientin, deren Mund sich wieder zu bewegen begann.
    »Kann ich ein oder zwei Fragen stellen?« Holmes nickte in ihre Richtung.
    »Sie?« Freuds Antwort klang wohl überraschter, als er beabsichtigt hatte.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben. Vielleicht kann ich ein wenig Licht in die Finsternis bringen, die uns umgibt.«
    Freud erwog den Vorschlag mit einem durchdringenden Blick auf Holmes, der die Antwort mit allen Anzeichen von Gelassenheit abwartete. Allerdings erkannte ich an einem Dutzend vertrauter Symptome, wie sehr ihm an der Erlaubnis des Doktors gelegen war.
    »Es kann nicht schaden«, wagte ich mich vor, »vielleicht können Sie ein wenig Beistand gebrauchen, da Sie sich ja selbst geschlagen bekennen. Mein Freund hat schon verworrenere Situationen geklärt«, fügte ich hinzu.
    Freud zögerte noch einen Augenblick. Ich

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