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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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seinem Schoß zu der Musik. Ich ließ meine Blicke rastlos im Theater umherschweifen, um der erstickenden Langeweile zu entkommen.
    Wenn einer die Oper noch anstrengender fand als ich, dann war es Freud. Auch er saß mit geschlossenen Augen, aber nicht aus Gründen der Konzentration, sondern weil er schlief, worum ich ihn beneidete. Hin und wieder begann er zu schnarchen, dann stieß Frau Freud ihn an, und er erwachte mit gelindem Schreck und sah verwirrt um sich. Sein Musikverständnis reichte bis zum Walzer, nicht weiter. Er hatte uns nur eingeladen, weil ihm Holmes’ Vorliebe für die Oper bekannt war. Zweifellos wollte er jedes Interesse an der Umwelt bei seinem Patienten ermutigen. Er selbst freute sich weder an dem Gesang noch an den Bühneneffekten, die teilweise recht überzeugend waren. Gelangweilt sah er zu, wie der von einer äußerst komplexen Maschinerie verkörperte Drache erschien und der große Vitelli sich zum Kampf bereit machte. * Alsbald jedoch begann der Drache zu singen, und Freud versank erneut in Schlummer. Es muß ansteckend gewirkt haben. Das nächste, woran ich mich erinnere, waren die aufflammenden Gaslichter und der allgemeine Aufbruch des Publikums.
    Während dieser ersten Pause reichte ich Frau Freud den Arm, und wir vier schlenderten auf der Suche nach einer Flasche Sekt zum Vestibül. Als wir uns den überhängenden Logen des ersten Ranges näherten, stand Holmes still und blickte zu ihnen auf.
    »Wenn der Baron von Leinsdorf ein Theaterfreund war«, vernahm ich seine ruhige Stimme in dem Gedränge, »dann hat er sich vielleicht auch eine Loge in der Oper gemietet« Er deutete mit einem Flackern seiner Augenlider auf die Logen, hielt seinen Kopf dabei aber ruhig.
    »Mit Sicherheit«, stimmte Freud mit einem unterdrückten Gähnen zu. »Aber ich weiß darüber nichts Näheres.«
    »Versuchen wir, es herauszufinden«, schlug Holmes vor und machte sich auf den Weg zum Foyer.
    Die adligen und reichen Familien, die eine Loge ihr eigen nennen durften, brauchten nicht im Gedränge auf ihre Erfrischungen zu warten; livrierte Diener servierten sie in den Logen. Für uns Sterbliche bedurfte es einer Mischung aus Erfindungsreichtum und Wagemut (wie an der Bar des alten Criterion), um durch den äußeren Kreis der Damen und den inneren der Herren zu gelangen, die die Bar umgaben.
    Freud und seine Frau ihrem Geplauder überlassend, hatten Holmes und ich dieses Spießrutenlaufen auf uns genommen. Wir kehrten siegreich zurück; allerdings verschüttete ich fast den gesamten Inhalt meines Glases, als ich etwas zu spät versuchte, einem energiegeladenen Jüngling auszuweichen.
    Wir fanden Freud im Gespräch mit einem großen und eleganten Herrn, der auf den ersten Blick jünger wirkte, als er war. Er war makellos gekleidet und betrachtete die Welt durch ein ungewöhnliches Pincenez mit den dicksten Gläsern, die ich bis dahin gesehen hatte. Seine Züge waren wohlgebildet und regelmäßig und von großem Ernst. Allerdings lächelte er, als Freud uns bekanntmachte.
    »Darf ich Ihnen Herrn Hugo von Hofmannsthal vorstellen? Sie kennen meine Frau, und diese Herren sind meine Gäste, Herr Holmes und Dr. Watson.«
    Von Hofmannsthal war zweifellos überrascht.
    »Doch nicht etwa Herr Sherlock Holmes und Dr. John Watson?« erkundigte er sich. »Das ist aber eine Ehre!«
    »Die Ehre ist auf unserer Seite«, gab Holmes mit einer liebenswürdigen Verneigung das Kompliment zurück, »wenn wir dem Verfasser von Gestern gegenüberstehen.«
    Der ernste, nicht mehr junge Mann verneigte sich und errötete bis zu den Haarwurzeln mit einem schamhaften Entzücken, das ich ihm nicht zugetraut hätte. Ich hatte keine Vorstellung, von welchem Gestern Holmes redete, und verharrte in taktvollem Schweigen.
    Für einige Augenblicke standen wir in einer kleinen Gruppe zusammen und schlürften müßig unseren Champagner. Holmes verwickelte von Hofmannsthal in eine angeregte Diskussion über seine Opern und fragte ihn nach seinem Komponisten aus, einem gewissen Richard Strauss, der aber, soweit ich feststellen konnte, nichts mit dem Walzerkönig zu tun hatte. * Unser neuer Bekannter bemühte sich, in unbeholfenem Englisch Rede und Antwort zu stehen, und erkundigte sich – unter Vermeidung von Holmes’ komplexen Fragen über das von ihm für Komödien bevorzugte Versmaß – nach dem Grund unseres Besuchs.
    »Sind Sie vielleicht mit einem Fall beschäftige« fragte er mit den neugierig leuchtenden Augen eines Schulkindes.
    »Ja

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