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Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud

Titel: Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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in Heidelberg studiert, diese Universitätsstadt aber unter etwas mysteriösen Umständen verlassen. Seine politischen Ansichten waren extrem konservativ, und er war für die Rückkehr zum –«
    »Und die zweite Ehe?« unterbrach Holmes.
    Freud seufzte.
    »Ging er zwei Monate vor seinem Tode ein. Auf einer Amerikareise lernte er in Providence die Textilerbin Nancy Osborn Slater kennen. Sie heirateten gleich darauf.«
    »Warum die Eile?« wunderte sich Holmes. »Gewöhnlich werden die Verlobungs- und Hochzeitsformalitäten von reichen Leuten eher in die Länge gezogen.«
    »Der Baron war beinahe siebzig«, erwiderte Freud achselzuckend. »Vielleicht – wenn man bedenkt, daß er so kurz nach der Heirat starb – hatte er eine Ahnung –«
    »Ganz recht, ganz recht. Kurioser und kurioser«, fügte mein Freund, seine Grammatik vergessend * , hinzu. Er saß in seinem Frack vor dem Kamin in Freuds Arbeitszimmer; die langen Beine hatte er ausgestreckt, und seine Augen unter den halbgeschlossenen Lidern glänzten. Er preßte seine Fingerspitzen gegeneinander, wie immer, wenn er sich konzentrieren wollte.
    »Sie kehrten irgendwann Mitte März auf der Alicia * nach Europa zurück«, nahm Freud die Erzählung wieder auf, »und begaben sich sogleich nach Bayern, in die Villa des Barons – sie soll fast vollkommen unzugänglich sein –, wo er vor etwa drei Wochen starb.«
    »Etwas über zwei Monate«, überlegte Holmes. Dann öffnete er seine Augen und fragte: »Ist es gelungen, die Todesursache festzustellen?«
    Freud schüttelte den Kopf.
    »Er war, wie gesagt, nicht mehr der Jüngste.«
    »Aber bei guter Gesundheit?«
    »Soweit ich weiß.«
    »Das ist interessant.«
    »Hat aber nicht viel zu sagen«, warf ich ein. »Auch ein gesunder älterer Mann wird, wenn er eine halb so alte Frau heiratet –«
    »Diesen Punkt habe ich bereits in Betracht gezogen«, bemerkte Holmes mit einiger Kälte und wandte sich dann wieder an Freud. »Und was ist aus der Witwe geworden?«
    Freud zögerte.
    »Ich habe es nicht herausgefunden. Sie scheint zwar hier in Wien zu wohnen, ist aber offenbar noch einsiedlerischer als ihr verstorbener Mann.«
    »Was bedeutet, daß sie vielleicht gar nicht hier ist«, schlug ich vor.
    Holmes verarbeitete diese Information schweigend. Offenbar versuchte er, das dafür zuständige Fach in seinem Gehirn zu finden.
    »Vielleicht«, gab er zu, »aber die Zurückgezogenheit ist verständlich. Sie ist in Trauer, sie kennt, sollte sie nicht vorher hier gewesen sein, wenig Leute in diesem Land, sie spricht wenig oder gar kein Deutsch. Sicher hat sie sich nie zuvor in Wien aufgehalten.«
    Er stand auf und blickte auf die Uhr.
    »Ist Ihre Frau zum Gehen bereit, Doktor? Sie sagten doch, die Oper beginne um halb neun!«
    Es ist schon zuviel und von besseren Federn als der meinen über das berühmte Wiener Opernhaus geschrieben worden, als daß ich mich an eine Beschreibung dieses herrlichen Theaters wagen würde. Zur Zeit unseres Besuchs war es auf dem Höhepunkt seines Glanzes, und ich habe nie wieder so viel Pracht an einem Ort gesehen. Die glitzernden Kronleuchter waren nur mit dem Schmuck der herrlich gekleideten Damen zu vergleichen. Wie sehr wünschte ich mir, Mary hätte dabei sein können! Diamanten blitzten auf Brokat, Samt und seidiger Haut. Man kann wohl sagen, daß die Zuschauer mit dem ihnen gebotenen Spektakel rivalisierten.
    Es wurde an jenem Abend irgend etwas von Wagner gegeben, aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was es war. Holmes verehrte Wagner; er behauptete, seine Musik fördere introspektive Betrachtung, was mir überhaupt nicht einleuchtete. Ich haßte Wagner leidenschaftlich. Ich tat mein Bestes, die Augen offen und die Ohren verschlossen zu halten, um den endlosen Abend zu überstehen. Holmes, der zu meiner Rechten saß, war vollkommen von der Musik hingerissen. Er sprach nur einmal, um mir den großen Vitelli zu zeigen, einen kurz gewachsenen Menschen mit einem unmöglichen blonden Toupet und fetten Waden, der die Hauptrolle innehatte. Daß die Waden fett waren, kann ich bezeugen, denn sein Bärenfellkostüm gab großzügig den Blick auf sie frei. Er hatte allerdings seinen Zenit bereits überschritten.
    »Er sollte sowieso nicht Wagner singen«, kommentierte Holmes später, »es ist nicht sein Fach.«
    Fach oder nicht, Zenit oder nicht, Holmes war für zwei Stunden in einer anderen Welt; seine Augen waren die meiste Zeit geschlossen, und seine Hände bewegten sich in

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