Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)

Indianeraufstand provozieren. Miss Oakley möchte bitte ebenfalls herkommen. Schließlich hat sie den Toten gefunden.«
    Ich tat widerspruchslos, wie mir geheißen. Lestrade gefiel sich so sehr in seiner Rolle als Oberkommandierender, dass er zuerst gar nicht reagierte. Schließlich wurde es mir zu bunt. »Muss ich vielleicht erst Mycroft Holmes telegrafieren?«
    »Seien Sie doch nicht so aggressiv, Dr. Watson! Ich bin ja schon unterwegs.«
    Major Burke, der gerade des Wegs kam, erhielt den Auftrag, Buffalo Bill, Chief Red Shirt und Annie Oakley ins Küchenzelt zu bringen. Endlich stand ich wieder vor Holmes und dem Toten, zusammen mit den meisten der gewünschten Personen. Lestrade erschien in Begleitung einiger Polizisten, Annie Oakley folgte einen Augenblick später. Sie war ganz unbefangen und schien keineswegs unter Schock zu stehen, obwohl sie den toten Koch gefunden hatte. Ganz ruhig betrachtete sie ihn. Mich wunderte, dass sie über ihrem Kleid einen Gürtel mit zwei Halftern und Pistolen trug. Nun, dachte ich, schließlich ist sie Artistin. Nur der Indianer fehlte noch. Mit einem höflichen Nicken in Annie Oakleys Richtung übernahm Holmes das Kommando.
    Lestrade gab freilich nicht so leicht auf. »Soll ich jetzt die Indianer verhaften? Ich meine, wo der Tote doch skalpiert wurde?«
    Holmes reagierte verärgert. »Zum letzten Mal, Lestrade, Sie rühren keinen einzigen Indianer an! Chief Red Shirt soll uns lediglich sagen, wem der Pfeil gehört. Wo ist er überhaupt?«
    Als ob er auf diesen Moment gewartet hätte, trat leichtfüßig, in mit Perlen geschmückten Mokassins, ein hoch gewachsener Indianer ins Küchenzelt. Er trug lederne Leggins und einen Lendenschurz mit langen Fransen und hatte sein Haar im Nacken zusammengesteckt. Ich konnte mir vorstellen, warum er als Liebling der Damenwelt galt: Er sah unverschämt gut aus und sein nackter, brauner Oberkörper war der eines wohltrainierten Athleten.
    »Sie, Dr. Watson«, fuhr Holmes fort, »wollen bitte vorsichtig den Pfeil aus der Wunde entfernen. Dann sehen Sie sich die Kopfwunde an. Fällt Ihnen etwas auf? Lestrade! Haben Ihre Leute schon etwas über den geheimnisvollen Bogenschützen herausgefunden?«
    »Nein, Mr. Holmes, die Indianer haben natürlich Bogen für die Show bei sich. Wir sammeln sie gerade ein. Aber so weit ich informiert bin, ist keiner von ihnen mit einem Bogen in der Küche oder der Umgebung der Küche gesehen worden.«
    Während Lestrade rapportierte, zog ich mit wenig Mühe den Pfeil aus der Wunde. Er war auffällig kurz, mehr wie der Bolzen einer Armbrust. Genauer gesagt war er anderthalbmal so lang wie meine Uhrkette, und die misst exakt neun Zoll. 25 Ich übergab ihn Holmes, der ihn sich durch sein Vergrößerungsglas ansah. Dann inspizierte ich die Kopfwunde des Toten. Mir fiel nichts Besonderes auf. Er war skalpiert worden, so viel war klar.
    Holmes machte mehrmals mmmh und schmatzte ein wenig, sagte aber nichts. »Verstehen Sie Englisch, Mr. Red Shirt?«, fragte er schließlich zur Einleitung. Der Indianer nickte kurz.
    »Zunächst darf ich Sie beruhigen! Man wirft Ihnen hier nichts vor. Ich möchte Ihnen als dem Anführer der hiesigen Indianer nur eine Frage stellen. Mir ist bekannt, dass man jeden Stamm, ja sogar jeden einzelnen Indianer an der Machart seiner Pfeile erkennen kann. Können Sie mir sagen, von wem dieser Pfeil stammt?«
    Red Shirt nahm den blutigen Pfeil in Empfang, roch daran, fuhr mit Daumen und Zeigefinger am Schaft entlang und befühlte das Gefieder des Pfeils sowie an seinem Ende die Kerbe zum Einlegen der Bogensehne. Dann schüttelte er den Kopf. »Pfeil ist nicht von Indianern aus Show. Nicht Apatsche, nicht Sioux. Kein Indianer macht solchen Pfeil. Feder ist von Huhn. Weich. Solcher Pfeil fliegt nicht. Indianer nimmt lange Feder von großem Vogel. Adler. Falke. Pfeil ist kurz. Kurzer Pfeil fliegt nicht. Trifft nicht. Fällt herunter. Macht Mann nur tot, der vor dir steht.« Er wies auf die Kerbe am Ende. »Spalt hier zu klein. Spalt in Indianerpfeil groß ... tief. Und Spitze hier ist aus Eisen. Indianerpfeil ist aus Knochen oder Stein. Ist mit Lederriemen an Holz festgemacht. Hier ist ... weiß nicht. Wie heißt?«
    »Eiserne Nägel! Danke sehr, Mr. Red Shirt. Das war eine umfassende Auskunft. Sie können wieder gehen, oder bleiben, wie Sie wünschen.«
    Red Shirt zog es vor, bei uns stehen zu bleiben.
    »Meine Herren, Mr. Red Shirt bestätigt, was ich bereits vermutet habe: Der Pfeil stammt ganz