Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
offensichtlich nicht aus indianischer Herstellung. Auch wurde er nicht von einer Bogensehne abgeschossen, denn die Kerbe an seinem Ende böte einer Bogensehne keinen Halt. Außerdem pflegen Indianer ihre Pfeilspitzen weder aus Eisen herzustellen noch sie am Schaft ihrer Pfeile anzunageln. Da niemand Bogenschützen auf dem Gelände der Show gesehen hat, müssen wir wohl etwas anderes suchen. Bevor ich erkläre, was das wäre, will ich erläutern, wen wir suchen.«
Ein Constable kam herein, grüßte und hielt Holmes mit spitzen Fingern etwas hin, das ich wegen der rötlichen Farbe auf den ersten Blick für einen Fuchsschwanz hielt.
»Mr. Holmes«, meldete der Polizist, »das haben wir draußen gefunden. Scheint jemand verloren zu haben. Ich fürchte, es stammt, also, von seinem Kopf ... das Haar!« Er wies auf den Toten.
»Ich bin immer noch Ihr Vorgesetzter, Hammersmith!«, brüllte Lestrade voller Wut. »Und nicht Mr. Holmes. Der hat hier gar nichts zu sagen! Mir haben Sie Funde zu melden.«
»Danke, Hammersmith«, sagte Holmes, zum Trotz besonders höflich, nahm einen schmalen, blutigen Streifen roten Haares und warf ihn Lestrade zu. Der wich entsetzt zurück. »Hier! Sie wollten doch der Erste sein, dem das übergeben wird!«
Lestrade ließ die Haare fallen, statt den Skalp aufzufangen. Red Shirt entblößte in ungenierter Freude seine schneeweißen Zähne, Hammersmith versuchte mit viel Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Lestrades feuerrote Gesichtsfarbe dagegen ließ auf ein sehr bewegtes Gemüt schließen. Vermutlich wünschte er sich, Holmes läge an Stelle des Kochs vor ihm am Boden.
»Ich werde mich beim Superintendent für Sie verwenden, Hammersmith«, versprach Holmes.
»Danke, Sir!«
»Schon gut! Darf ich fortfahren?«
Lestrade schnaubte, sagte aber nichts mehr. Red Shirt hob auf, was Lestrade hatte fallen lassen, und sah es sich mit einem Ausdruck von Verwunderung an.
»Also, meine Herren«, dozierte Holmes, »wie Sie sich erinnern, war Jake Brannagan ein Pinkerton-Detektiv, verstand aber auch sehr viel von Musik, weshalb er als Geiger im Cowboy-Orchester verkleidet operieren konnte. Sein Auftrag lautete, die Raureiter aus aller Welt im Auge zu behalten, um etwaigen Attentätern rechtzeitig auf die Spur zu kommen. Angehörige des gesamten europäischen Hochadels werden anwesend sein, wenn Ihre Majestät die Königin sich die Ehre gibt, der Show beizuwohnen. Unter Mr. Brannagans Noten fand ich eine Komposition, bei der es sich nur um einen kodierten Text handeln konnte. Tatsächlich bediente sich Mr. Brannagan eines Verfahrens, für dessen Anwendung man einige kompositorische Fähigkeiten braucht. Es ist im Grunde einfach, aber wirksam. Schreiben Sie, beginnend mit einem tiefen E, dreieinhalb mal eine Oktave Ton für Ton nebeneinander und ordnen darunter, beginnend mit A, jedem Ton einen Buchstaben des Alphabets zu. Nun können Sie mit dem Schreiben beginnen. Ich habe das Verfahren hier auf einem Zettel aufgezeichnet.« Er hielt einen kleinen Zettel hoch. » Watson beispielsweise führt zu den Tönen F-E-C-H-E-D. Da die Töne aus verschiedenen Oktaven stammen, sind die Tonsprünge zwischen ihnen recht groß und abrupt. Das wird mit verspielten Achtel-und Sechzehntelnoten ohne eigentliche Bedeutung kaschiert. Damit der Empfänger der Botschaft aber nun weiß, welche Töne Buchstaben entsprechen sollen, sind die Noten, aus denen die Botschaft besteht, immer hinter einem Taktstrich platziert. Ein musikalischer Laie kann mit der Botschaft nichts anfangen. Kurzum, anhand dieses Zettels hier gelangte ich zum Inhalt der Botschaft.«
»Und wie lautet der?«, fragte Buffalo Bill voller Ungeduld.
»Das werde ich Ihnen gleich mitteilen. Einen Augenblick noch!«
Buffalo Bill murmelte etwas in seinen Spitzbart und verdrehte die Augen nach oben, so dass nur noch das Weiße zu sehen war. Holmes liebte es, alle auf die Folter zu spannen.
»Mr. Brannagan also«, fuhr Holmes fort, »war jemandem auf die Spur gekommen, dessen Namen er kodiert in einer kleinen, etwas gewagten Melodie verschlüsselte. Ich fragte mich nun, ob er allein in geheimer Mission tätig war oder ob er einen Vertrauten hatte. Nun, er hatte einen Vertrauten. Miss Oakley, bitte.«
»Das war Mr. Poodleworth, sein bester Freund. Ich habe die beiden oft zusammen gesehen. Mr. Poodleworth hat mir oft Abfälle für meinen kleinen Hund geschenkt. Als ich ihn fand, wollte ich gerade wieder ein paar Leckerbissen für ihn holen.«
»Gehen wir
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