Sherry Thomas
eine
Erfrischung servieren?«
»Sie dürfen, und Sie dürfen ferner
dafür sorgen, dass mein Gepäck hereingeschafft wird«, erklärte Lord Tremaine.
»Weilt Lady Tremaine daheim?«
Die Stimme des neuen Hausherrn klang
ganz normal und gab keinerlei ungewöhnliche Gefühlsregungen preis. Er hätte
auch geradewegs von seinem üblichen Nachmittagsschläfchen im Club heimgekehrt sein
können. Und das nach zehn Jahren!
»Lady Tremaine unternimmt einen
Gesundheitsspaziergang im Park, Sir.«
Lord Tremaine nickte. »Danke.«
Er ging zur Treppe.
Ohne nachzudenken, trottete Goodman
hinter ihm her, woraufhin Tremaine sich umwandte und eine Augenbraue hochzog.
Goodman wurde derzeit nicht mehr gebraucht.
Irgendetwas am Haus seiner Gemahlin hier in
London fand Lord Tremaine befremdlich.
Es war erstaunlich elegant.
Eigentlich hatte er, was die Einrichtung anging, eher etwas in der Art
erwartet, wie er es von seinen Nachbarn in der Fifth Avenue kannte: pompöser
Stil, überall Vergoldungen, eine Nachahmung der letzten Tage von Versailles sozusagen.
Zwar besaß Lady Tremaine ein paar
Stühle aus der Zeit, aber denen konnte man ansehen, dass viele Samthosen mit
ihnen Bekanntschaft geschlossen hatten, und sie wirkten eher bequem denn
luxuriös. Weiterhin fehlten die klotzigen Kommoden und ausufernden
Mosaikverzierungen völlig, die er im Geiste sonst mit englischen Häusern
verband.
Das Heim seiner Gemahlin hingegen
erinnerte ihn eher an eine bestimmte Villa in Turin, am Fuße der italienischen
Alpen, in der er in seiner Jugend ein paar glückliche Wochen verbracht hatte –
ein Haus mit Tapeten in sanftem Gold und zartem Aquamarin, kostbare Fayencen
voller Orchideen auf zarten gewundenen Eisenständern und dazu Möbel aus dem
letzten Jahrhundert.
Während seiner ganzen Jugend, in der
er von einem Haus ins andere umgezogen war, hatte er sich nur auf dem Anwesen
seines Großvaters und in jener Villa wirklich heimisch gefühlt. Er hatte es
dort geliebt, weil die Zimmer so hell, freundlich und nicht voller Möbel waren;
dafür gab es überall Pflanzen, die wunderbar krautig dufteten.
Bis er die Bilder an den Wänden des
Salons entdeckte, hielt er die Ähnlichkeit dieses Hauses mit der Villa in Turin
noch für Zufall. Doch im Salon hatte Lady Tremaine Gemälde derselben Künstler
aufgehängt, deren Werke sich auch in seinem Haus in Manhattan fanden: Sisley,
Morisot, Cassat und Monet, dessen Bilder man schänd licherweise einmal mit
unfertigen Entwürfen für Tapetenmuster verglichen hatte.
Sein Herz schlug schneller. Auch im
Speisezimmer hingen weitere Monets und ein Degas. Für ihre Galerie schien Lady
Tremaine gleich eine ganze Impressionisten-Ausstellung aufgekauft zu haben:
Renoir, Cezanne, Seurat und dann noch ein paar Maler, von denen niemand außerhalb
der klatschsüchtigen Künstlerkreise von Paris jemals gehört hatte.
Lord Tremaine blieb mitten in der
Galerie stehen, weil er einfach nicht weitergehen konnte. Sie hatte dieses Haus
so eingerichtet, dass es nach ihrer Heirat vor zehn Jahren ein wahr gewordener
Traum für ihn gewesen wäre. Während ihrer langen verzückten Gespräche damals
musste er ganz offensichtlich von seiner Vorliebe für schlichte Häuser und
moderne Kunst erzählt haben.
Er erinnerte sich, wie sie ihm ganz
bezaubert gelauscht hatte, an ihre Fragen, ihr brennendes Interesse an allem,
was mit ihm zu tun hatte.
War die Scheidung vielleicht nur ein
neuer Trick von ihr? Eine klug gestellte Falle, um ihn wieder einzuwickeln,
nachdem alles andere versagt hatte? Würde er sie nackt und parfümiert in seinem
Schlafzimmer vorfinden, sobald er die Tür dazu öffnete?
Er fand seine Appartements und stieß
die Tür auf. Nein, sie lag nicht auf dem Bett, weder nackt noch bekleidet.
Es gab gar kein Bett.
Und auch sonst nichts. Das
Schlafzimmer war so groß und so leer wie der amerikanische Westen.
Im Teppich waren keine Druckstellen
von Möbelbeinen zu erkennen. An den Wänden verrieten keine hellen rechteckigen
Flecken, dass hier bis vor Kurzem Bilder gehangen hätten. Auf dem Boden und den
Fensterbrettern lag eine dicke Staubschicht. Das Zimmer stand seit Jahren leer.
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund
bekam er plötzlich keine Luft mehr.
Der Herrensalon hingegen war
blitzsauber und vollständig eingerichtet mit Lesesesseln, Regalen voller Bücher,
einem Schreibtisch mit Tintenfass und Papier darauf, ja, selbst ein Topf mit
blühendem Amarant fand sich. Im Vergleich hiermit sprach das leere
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