Sherry Thomas
Schlafzimmer
eine deutliche Sprache, wurde zu einem schmerzlichen Symbol.
Vielleicht war das Haus wirklich nur
dazu eingerichtet worden, ihn hierher zurückzulocken. Doch das war zehn Jahre
her – fast eine Epoche. Seitdem schien er für das Leben seiner Gemahlin
bedeutungslos geworden zu sein.
Er stand noch immer in der Tür und
starrte in das leere Schlafzimmer, als der Butler mit zwei Dienern und einem
Schrankkoffer herbeikam. Die gähnende Leere des Zimmers ließ den Butler
auffallend erröten. »Wir brauchen höchstens eine Stunde, um durchzulüften und
alles wieder einzurichten, Sir.«
Beinahe hätte er Goodman angewiesen,
sich die Mühe zu ersparen und das Zimmer so unwirtlich zu lassen. Aber damit
hätte er preisgegeben, wie schockiert er war. Daher nickte Lord Tremaine nur.
»Ausgezeichnet.«
Der Prototyp der neuen Stempelmaschine,
den Lady Tremaine für ihre Fabrik in Leicestershire bestellt hatte, weigerte
sich, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die Verhandlungen mit dem
Werftbesitzer aus Liverpool zogen sich höchst unbefriedigend in die Länge. Und
sie musste auch noch die Briefe ihrer Mutter – zehn an der Zahl – beantworten,
die diese ihr seit dem offiziellen Scheidungsgesuch geschrieben hatte. Darin
stellte Mrs. Rowland offen die Zurechnungsfähigkeit ihrer Tochter infrage und
ging fast so weit, sie als so blöd wie ein Hammelbein zu deklarieren.
Damit hatte Lady Tremaine ja
durchaus gerechnet. Das folgende Telegramm von Mrs. Rowland – eingegangen vor
vier Stunden – verursachte ihr dann allerdings endgültig Kopfweh: Tremaine
in Southhampton von Bord gegangen.
Wie sehr Lady Tremaine Freddie auch
einzureden versuchte, dass dies in der gegebenen Situation fast zu erwarten
gewesen war – Wir müssen die Papiere unterschreiben und uns bezüglich der
Vermögenswerte einigen, Liebling. Da musste er irgendwann zurück nach England
kommen –, Tremaines Ankunft konnte nur neuen Ärger bedeuten.
Ihr Gemahl. In England. So nah, wie
er es ihr seit zehn Jahren nicht mehr gewesen war – einmal abgesehen von den
bedauerlichen Vorkommnissen in Kopenhagen 1888, also vor fünf Jahren.
»Broyton soll morgen Vormittag
freundlicherweise ein paar Konten für mich überprüfen«, sagte sie zu
Goodman, während sie ihm Schal, Hut und Handschuhe überreichte, als sie
Zuhause eintraf. Dann ging sie zur Bibliothek. »Bitten Sie doch außerdem Miss
Etoile zum Diktat zu mir. Und sagen Sie Edie, ich trüge heute Abend das
cremefarbene Samtkleid statt dem aus violetter Seide.«
»Mylady ...«
»Ach, das hätte ich fast vergessen.
Ich habe heute Morgen mit Lord Sutcliffe gesprochen. Sein Sekretär hat gekündigt.
Ich habe Ihren Neffen für die Stelle empfohlen. Er soll sich morgen um zehn Uhr
früh vorstellen. Sagen Sie ihm, Lord Sutcliffe sucht einen ehrlichen Mann, der
nicht viele Worte macht.«
»Zu freundlich von Ihnen,
Mylady«, bedankte sich Goodman.
»Ihr Neffe ist ein
vielversprechender junger Mann.« Sie blieb vor der Bibliothekstür stehen.
»Wenn ich es mir recht überlege, soll Miss Etoile doch erst in zwanzig Minuten
bei mir erscheinen. Und sorgen Sie bitte dafür, dass ich bis dahin nicht
gestört werde.«
»Aber Mylady, Seine Lordschaft
...«
»Seine Lordschaft wird den Tee heute
nicht mit mir nehmen.«
Sie drückte die Tür auf und stellte
fest, dass Goodman noch immer wartete und keine Anstalten machte, sich zu
entfernen. »Was ist denn, Goodman? Haben Sie wieder Rückenschmerzen?«
»Nein, Mylady, das ist es nicht, es
geht vielmehr ...«
»Um mich«, sagte eine Stimme in
der Bibliothek. Die Stimme ihres Gemahls.
Für einen langen Augenblick war sie
wie versteinert und konnte nur daran denken, dass sie Freddie, Gott sei Dank,
nicht mit heimgebracht hatte, wie sie es nach einem gemeinsamen
Nachmittagsspaziergang oft tat. Ansonsten war sie nicht in der Lage, einen
einzigen klaren Gedanken zu fassen. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Erst wurde
ihr heiß, dann kalt. Die Luft schien auf einmal zum Schneiden dick, sodass
Atmen unmöglich war.
Geistesabwesend nickte sie Goodman
zu. »Sie können gehen.«
Goodman zögerte. Hatte er Angst um
sie? Lady Tremaine betrat die Bibliothek und ließ die schwere Eichentür
hinter sich zufallen.
Die Fenster des Zimmers gingen nach
Westen und boten so eine Aussicht auf den Park. Das noch immer kräftige Sonnenlicht
fiel durch die Scheiben herein und malte rechteckige helle Flecken auf den
orientalischen Teppich mit seinen verschlungenen
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