Sherry Thomas
ihren musikalischen Talenten zu unterhalten – Lord
Beckwith ließ sich mit den Herren im Rauchzimmer bekanntermaßen gern viel Zeit.
Manchmal dauerte es ganze drei Stunden, bis er mit den Gentlemen
zurückkehrte.
Gigi wandte sich in Gedanken wieder
wichtigeren Dingen zu. Sollte sie sich für die Torte noch etwas Aufsehenerregendes
einfallen lassen? Sie vielleicht in Form des Taj Mahals backen lassen? Des
Dogenpalasts? Oder besser doch nicht? Dann vielleicht als geometrische Figur?
Die einzelnen Lagen als Hexameter? Ausgezeichnet! Eine sechseckige Torte mit
glänzendem Zuckerüberzug und einer Girlande von ...
Diese Musik! Erstaunt sah sie auf.
Die musikalischen Darbietungen bewegten sich zumeist in einem Rahmen von
akzeptabel bis grauenerregend. Die schöne junge Frau mit der Alabasterhaut auf
dem Klavierschemel hingegen spielte wie einer der ausgebildeten Pianisten, die
Gigis Mutter manchmal kommen ließ. Die Finger des Mädchens schwebten über die
Tasten wie Schwalben über einen sommerlichen See. Noten, klar und schön,
umschmeichelten das Ohr wie eine Creme Brulée die Zunge.
Theodora von Schweppenburg. So hieß
sie. Man hatte die beiden einander kurz vor dem Dinner vorgestellt. Sie war
noch nicht lange in London und stammte aus einem Kleinstaat auf dem Kontinent
– die Tochter irgendeines Grafen und damit selbst eine Gräfin. Aber diese
Titel des früheren Heiligen Römischen Reiches wurden ja stets an sämtliche
Nachfahren vererbt und bedeuteten damit nicht allzu viel.
Als sie fertig war mit dem
Musikstück, gesellte sie sich zu Gigi.
»Meine herzliche Gratulation zu
Ihrer Verlobung, Miss Rowland.« Gräfin von Schweppenburg sprach mit einem
niedlichen, wenn auch nur leichten Akzent und duftete nach Rosen und Patschuli.
»Danke, Gräfin.«
»Meine Mutter möchte, dass ich es
Ihnen nachmache«, sagte Gräfin von Schweppenburg mit einem kleinen unsicheren
Lachen und setzte sich auf den Stuhl neben Gigi. »Sie wollte, dass ich Sie
frage, wie Sie das angefangen haben.«
»Ganz einfach«, erklärte Gigi
geübt nonchalant. »Seine Gnaden ist in finanziellen Nöten, während ich reich
bin.«
Natürlich war es keineswegs so
einfach. Die Vorbereitungen für diese Verlobung hatten tatsächlich Jahre
gedauert, nachdem Mrs. Rowland ihrer Tochter endlich eingebläut hatte, dass es
sowohl ihre Pflicht als auch ihr Schicksal wäre, einmal den Titel einer Duchess
zu tragen.
Leider würde es Gräfin von
Schweppenburg nicht gelingen, Gigis Erfolg zu wiederholen. Und Gigi selbst
ebenfalls nicht. Es gab derzeit keinen anderen heiratsfähigen Herzog, der sich
in so schlimmen Schwierigkeiten befand, dass er eine derart unstandesgemäße Ehe
in Betracht ziehen würde. Schließlich hatte Gigi lediglich zartblaues Blut von
Seiten ihrer Mutter geerbt, der Tochter eines unbedeutenden Landadeligen.
Gräfin von Schweppenburg senkte den
Blick. »Oh«, flüsterte sie und drehte den Fächer in der Hand hin und her.
»Ich bin nicht reich.«
So viel hatte Gigi sich schon
gedacht. Gräfin von Schweppenburg haftete etwas Trauriges an. Wie bei einer
Adligen aus bester Familie, die sich nicht einmal ein Dienstmädchen leisten
konnte und die nach Sonnenuntergang im Dunkeln umhertappte, um das Geld für
die Kerzen zu sparen.
»Aber Sie sind sehr schön«,
erklärte Gigi. Wenn auch nicht mehr die Jüngste, bestimmt schon ein- oder gar
zweiundzwanzig. »Männer mögen schöne Frauen.«
»Leider weiß ich mit meinem Aussehen
nicht viel anzufangen ...«
Das war Gigi vorhin durchaus schon
aufgefallen. Gräfin von Schweppenburg hatte zwischen zwei jungen unverheirateten
Männern gesessen, die alle beide als Kandidat infrage kamen und ganz
hingerissen gewesen waren von ihrer Schönheit und gleichzeitigen
Schüchternheit. Doch die Aufmerksamkeiten der beiden schienen Gräfin von
Schweppenburg eher zu bedrücken, und sie hatte die Herren kaum beachtet, was
ihnen dann auch irgendwann auffiel.
»Sie müssen ein wenig üben.«
Gräfin von Schweppenburg schwieg
darauf zunächst und spielte wieder mit dem Fächer. »Kennen Sie Lord Reginald
Saybrook, Miss Rowland?«
Der Name kam Gigi vage vertraut vor.
Dann fiel es ihr wieder ein. Lord Reginald war der Onkel ihres künftigen
Gemahls. »Bedauerlicherweise nein. Er hat irgendeine Fürstin geheiratet und
lebt irgendwo auf dem Kontinent.«
»Er hat einen Sohn.« Gräfin von
Schweppenburg verstummte. »Camden. Und ... er liebt mich.«
Bestimmt so eine
Romeo-und-Julia-Geschichte – dem Stück
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