Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
Vom Netzwerk:
Wendekreis des Volvo, und er musste mehrmals zurücksetzen, manchmal sogar bis an den mit Schotter bedeckten Rand des Abgrunds. Er musste ständig im ersten Gang fahren, und die Straße stieg so steil an, dass sie wieder aus der Nacht auftauchten, die sich schon über das Tal gesenkt hatte, und nun im wechselnden Zwielicht des Hochgebirges weiterfuhren: blendende Helle in der Windschutzscheibe, sobald sie sich nach Westen wandten, und gleich darauf, wenn ein Felsvorsprung die sinkende Sonne verdeckte, pechschwarze Nacht.
    Doch bald endete auch diese primitive Straße, und sie fuhren auf schwach ausgeprägten Wagenspuren weiter, die sich in die stoppelige Bergwiese eingedrückt hatte. Die untergehende Sonne stand jetzt als riesiger roter Ball am Himmel und verschmolz bald darauf mit dem flammenden Horizont. Die Schneefelder auf den Gipfeln hoch über ihnen glühten rosig, dann violett und endlich purpurn vor dem schwarzen Firmament. Die ersten Sterne glitzerten links im Osten, während im Westen rings um den blutroten Rand der sinkenden Sonne der Himmel noch dunstig-blau schimmerte.
    Bei einem Granitfelsen machte Hel halt und zog die Handbremse an. »Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter. Es sind noch ungefähr zweieinhalb Kilometer.«
    »Bergauf?«, erkundigte sich Hannah.
    »Meistens, ja.«
    »Gott, Ihre Berghütte liegt aber wirklich einsam!«
    »Das ist ihr größter Vorzug.« Sie stiegen aus und holten Hannahs Rucksack, wobei sie wieder einmal die unvermeidliche Frustration beim Betätigen des diabolischen Kofferraumverschlusses erlebten. Sie waren schon zwanzig Meter weit gegangen, da fiel ihm ein, dass er sein Ritual vergessen hatte. Anstatt umzukehren, hob er jedoch einfach einen scharfkantigen Stein auf und schleuderte ihn nach dem Wagen – ein gut gezielter Wurf, der eines der hinteren Fenster traf und ein großes Spinnennetz aus gesprungenem Sicherheitsglas hinterließ.
    »Was sollte denn das?«, fragte ihn Hannah.
    »Nur eine Geste. Mensch gegen System. Gehen wir. Sie halten sich dicht hinter mir. Ich kenne den Pfad auswendig.«
    »Wie lange muss ich denn allein hier oben bleiben?«
    »Bis ich weiß, was ich mit Ihnen anfangen soll.«
    »Bleiben Sie wenigstens heute Nacht hier?«
    »Ja.«
    Eine volle Minute verstrich, bis sie endlich sagte: »Gott sei Dank.«
    Er schlug ein zügiges Tempo an, denn das Tageslicht erlosch rasch. Hannah war jung und kräftig und konnte mühelos mit ihm Schritt halten. Sie ging schweigend, fasziniert von dem schnellen und doch subtilen Farbwechsel des Sonnenuntergangs im Gebirge, hinter ihm her. Abermals, wie schon zuvor unten im Tal, entdeckte er eine überraschende Alphaschattierung in ihrer Aura – jenes rasch aufflackernde, mittelstarke Signal, das er mit Meditation und Seelenfrieden verband, aber keineswegs mit den charakteristischen Signaturschwingungen westlicher Menschen.
    Als sie die letzte Bergwiese vor der engen Schlucht überquerten, die zur Hütte hinaufführte, blieb Hannah unvermittelt stehen.
    »Was ist?«
    »Schauen Sie doch! Die Blumen. Solche habe ich noch nie gesehen.« Sie beugte sich zu den hartstengeligen, goldbestäubten Glöckchen hinab, die im letzten Schimmer des Abendlichts gerade noch zu erkennen waren.
    Hel nickte. »Sie blühen nur auf dieser und noch auf einer anderen Wiese dort drüben.« Er zeigte nach Westen, zur Tafel der Drei Könige hinüber, die in der Dämmerung versank. »Wir sind hier knapp über zwölfhundert Meter hoch. Sowohl hier als auch auf dem Berg da drüben wachsen sie nur in dieser Höhe. Die Einheimischen nennen sie Herbstaugen, aber die meisten Leute haben sie noch nie gesehen, weil sie nur drei, vier Tage lang blühen.«
    »Wunderschön! Aber es ist doch schon fast dunkel, und sie sind trotzdem immer noch offen.«
    »Ihre Blüten schließen sich nie. Man sagt, sie lebten nur so kurze Zeit, dass sie nicht zu schlafen wagen.«
    »Wie traurig!«
    Er zuckte die Achseln.
    Sie saßen einander an einem kleinen Tisch gegenüber und aßen zu Abend, während sie durch die Spiegelglaswand auf die steile enge Schlucht, den einzigen Zugang zur Hütte, hinausblickten. Normalerweise hätte es Hel Unbehagen bereitet, von Kerzen beleuchtet vor einer großen Glaswand zu sitzen, während die Landschaft draußen im Dunkeln lag. Aber das doppelte Spiegelglas war kugelsicher.
    Die Hütte war aus einheimischen Steinen gebaut und sehr einfach aufgeteilt: Es gab nur einen einzigen großen Raum mit einem frei tragenden Schlafbalkon. Als sie

Weitere Kostenlose Bücher