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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
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zerren.
    Und dann greift der Mann nach ihrem Arm. «Entschuldigen Sie, Ma’am. Ich glaube, Sie haben das hier verloren», sagt er und hält ihr etwas auf der ausgestreckten Hand hin. Sie hat keine Ahnung, wie er plötzlich so dicht an sie herangekommen ist. Und sie ist sicher, dieses schiefe Lächeln zu kennen.
    «Margot?» Jemmie hat Angst.
    «Du gehst weiter nach Hause, Jemmie», sagt Margot mit ihrer autoritärsten Lehrerinnenstimme, die allerdings nicht besonders autoritär klingt, immerhin ist sie erst fünfundzwanzig. «Ich komme gleich nach.»
    Es sollte jetzt keine Komplikationen mehr geben. Falls doch, muss sie ins Krankenhaus gehen, die Ärzte werden ihr keine Schwierigkeiten machen. Bei Jane haben sie angefangen, die Leunbach-Paste einzusetzen. Keine Schmerzen, kein Blut, keine Probleme und keine Möglichkeit, die Einleitung einer Fehlgeburt zu beweisen. Für Jemmie wird alles gut laufen.
    Sie wartet, bis Jemmie weitergeht, und dreht sich dann mit durchgedrücktem Rücken zu ihm um, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen kann.
    «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein,
Sir

    «Ich habe überall nach dir gesucht. Ich wollte dir das hier zurückgeben.»
    Jetzt wirft sie schließlich einen Blick auf den Gegenstand, den er ihr hinhält. Ein selbstgemachter Demo-Anstecker. Das weiß sie, weil sie ihn selbst bemalt hat. Ein fliegendes Schwein. «Pigasus for President» steht in ihren Großbuchstaben um den Rand, auf der rechten Seite ist die Schrift ein bisschen unregelmäßig. Das war der offizielle Präsidentschaftskandidat der Anarcho-Yippies für die Wahl von 1968 , weil ein Schwein kaum schlimmer sein konnte als die echten Politiker.
    «Erkennst du das wieder? Kannst du mir sagen, wann du es zum letzten Mal gesehen hast? Erinnerst du dich an mich? Du musst dich an mich erinnern.» All diese Fragen stellt er mit furchtbarer Eindringlichkeit.
    «Ja», keucht sie. «Bei der Democratic Convention.» Mit einem Schlag ist die Erinnerung zurück. Die Szene vor dem Hilton, weil ihr Anführer, Tom Haydon, ihnen gesagt hatte, sie sollten zusehen, dass sie aus dem Park wegkämen, weil die Polizei anfing, gewalttätig zu werden und die Aktivisten von den Statuen herunterzuzerren, auf die sie geklettert waren.
    Wenn sie mit Tränengas angegriffen würden, dann würde die ganze Stadt mit Tränengas angegriffen. Wenn im Grant Park Blut floss, dann würde in ganz Chicago Blut fließen! Siebentausend Leute brandeten in den Straßen gegen die Cops an, die sie zurückdrängen wollten. Sie waren immer noch wütend wegen Martin Luther King, die ganze West Side brannte. Das Gefühl, mit dem der Backstein aus ihrer Hand flog, als würde er ihr an einer Schnur weggerissen. Sie nahm den Cop wahr, der sie angriff, der Schlagstock prallte an ihrer Seite ab, aber sie spürte keinen Schmerz, erst danach, als sie unter der Dusche die Prellungen sah.
    Die Fernsehkameras und die Scheinwerfer auf der Eingangstreppe des Hotels, vor der sie aus vollem Hals «Die ganze Welt schaut zu!» mit der Menge skandierte, bis die Cops die gesamte Menschenmenge mit Pfefferspray einnebelte. Yippies. Schaulustige. Reporter. Einfach alle. Sie glaubte, Rob krächzen zu hören: «Die Schweine sind Arschlöcher», aber sie fand ihn nicht wieder in all dem Gedränge der Menschen mit tränenden Augen, in dem überall die blauen Polizistenhelme unter dem Scheinwerferlicht aufblitzten und mechanisch mit Schlagstöcken geknüppelt wurde.
    Margot lehnte an der Kühlerhaube eines Autos in der Balbo Avenue, hielt den Kopf gesenkt, spuckte aus und rieb sich die Augen mit dem Saum ihres T-Shirts, womit sie das Brennen nur noch schlimmer machte. Aus irgendeinem Grund sah sie auf, und da war er, hinkte direkt auf sie zu, ein großer Mann, der eine wilde Entschlossenheit ausstrahlte. Wie ein Backstein an einer Schnur.
    Er blieb vor ihr stehen und lächelte sie schief an. Harmlos. Sogar charmant. Das war in diesem Chaos dermaßen unpassend, dass sie aufstöhnte und versuchte, ihn wegzuschieben, auf einmal so verängstigt, wie sie es weder vor den Cops noch in der Menge, noch durch das grausame Brennen des Pfeffersprays in ihren Lungen gewesen war.
    Er packte sie an den Handgelenken. «Wir sind uns schon früher begegnet. Aber daran wirst du dich kaum erinnern.» Diese Bemerkung war so merkwürdig, dass sie ihr im Gedächtnis blieb.
    «Hier», er packte sie am Jackenaufschlag, als wollte er sie aufrichten, aber stattdessen zog er den Anstecker ab. «Das ist es.»

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