Shining Girls (German Edition)
Stapeln kauern, zwischen den Beinen hindurchspähen.
«Weißt du noch, was ich zu dir gesagt habe? Du leuchtest, Sweetheart. Ich könnte dich auch im Dunkeln sehen.» Auf eine gewisse Art stimmt das auch. Es ist das Licht, das sie verrät – und der Schatten, den es auf die Treppe wirft, die zum Dach hinaufführt.
«Wenn dir das Armband nicht gefällt, musst du es doch nur sagen.» Er tut so, als würde er nach rechts weggehen, noch weiter in die Eingeweide des Gebäudes vordringen, und dann flitzt er die klapprige Holztreppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend, dorthin, wo sie sich versteckt.
Das Neonlicht ist kalt und nicht sehr schmeichelhaft. Es lässt sie sogar noch ängstlicher aussehen. Er schnellt mit dem Messer vor, erwischt aber nur ihren Jackenärmel und schlitzt ihn auf, während sie entsetzt aufschreit und weiter nach oben flüchtet, vorbei an einem rasselnden Boiler mit Kupferhähnen und Rußflecken an der Wand.
Sie stemmt die schwere Tür zum Dach auf und stürzt hinaus ins blendend helle Tageslicht. Er ist ganz knapp hinter ihr, aber sie schmettert ihm die Tür auf die linke Hand. Er schreit auf und zuckt mit der Hand zurück. «Du Luder!»
Blinzelnd tritt er in die Sonne hinaus, die verletzte Hand unter die Achsel geklemmt. Nur geprellt, nichts ist gebrochen, aber es tut verflucht weh. Er macht sich nicht mehr die Mühe, das Messer zu verstecken.
Sie steht vor dem niedrigen Sims an der Außenwand des Gebäudes zwischen einer Reihe runder Belüftungshauben, deren Ventilatoren sich träge drehen. Sie hat einen Backstein in der Hand.
«Komm her.» Er winkt sie mit dem Messer zu sich.
«Nein.»
«Willst du es uns schwer machen, Sweetheart? Willst du einen hässlichen Tod haben?»
Sie wirft mit dem Backstein nach ihm. Er trudelt über den zerfurchten Teer und verpasst ihn um Längen.
«Also gut», sagt er. «Also gut. Ich werde dich nicht verletzen. Es ist ein Spiel. Komm her. Bitte.» Er streckt die Arme aus und sieht sie mit seinem harmlosesten Lächeln an. «Ich liebe dich.»
Sie lächelt strahlend zurück. «Ich wünschte, das wäre wahr», sagt Alice. Und dann dreht sie sich um und springt vom Dach. Er ist zu erschrocken, um auch nur hinter ihr herzurufen.
Irgendwo weiter unten flattern Tauben empor. Und dann gibt es nur noch ihn und das leere Dach. Unten auf der Straße schreit eine Frau auf. Immer und immer wieder. Wie eine Sirene.
So hätte es nicht laufen sollen. Er nimmt die Antibabypillen aus der Tasche und starrt sie an, als wäre der Kreis aus farbigen Pillen mit den Markierungen für die Wochentage ein Omen, das er deuten könnte. Aber es sagt ihm gar nichts. Es ist nur ein dummes, totes Objekt.
Er drückt es so fest in der Hand zusammen, dass das Plastik zerknickt. Dann wirft er es Alice angeekelt hinterher. Es segelt hinunter, trudelt dabei wie ein Kinderspielzeug.
Kirby
12 . Juni 1993
Es ist brutal heiß, und im Keller ist es noch schlimmer, weil dort Rachels Krempel die Hitze zu absorbieren und in klebrige Nostalgie zu tauchen scheint. Eines Tages wird ihre Mutter tot sein, und dann wird Kirby all diesen Mist aussortieren müssen. Je mehr davon sie jetzt gleich loswird, desto besser.
Sie hat angefangen, Kartons in den Garten zu tragen, sodass sie es mit dem Durchsehen leichter hat. Es geht ganz schön auf den Rücken, die Kartons über die wacklige, schmale Holztreppe nach oben zu schaffen, aber es ist immer noch besser, als da unten mit Bergen von Zeugs eingepfercht zu sein, das den Anschein macht, sie jeden Augenblick unter sich begraben zu können. Das ist in letzter Zeit ihre einzige Betätigung – Kartons mit Überbleibseln durchzusehen. Sie vermutet, dass diese Kartons hier noch schmerzlichere Gedanken hervorrufen werden als die zerstörten Lebensläufe, die in Detective Michael Williams’ Fallakten dokumentiert sind.
Rachel kommt auf den Rasen hinaus und setzt sich im Schneidersitz neben sie, mit ihren Jeans und dem schwarzen T-Shirt sieht sie aus wie eine Kellnerin, das Haar hat sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre schmalen Füße sind nackt, die Fußnägel mit einem so dunklen Rot lackiert, dass es beinahe schwarz wirkt. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass sie begonnen hat, sich die Haare zu färben, und das Braun, das einen stärkeren kastanienroten Ton hat als normalerweise, ist mit grauen Fäden durchzogen.
«Meine Güte, was für ein Haufen Schrott», sagt sie. «Am besten verbrennen wir gleich alles.» Sie gräbt ihr
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