Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
Vom Netzwerk:
Blick. Das Hotel wird renoviert. Während des Krieges haben die Militärs vermutlich ziemlich in den Zimmern gewütet, stellt sich Harper vor. All das Trinken und Rauchen und Herumhuren.
    Auf der runden Skala über den goldenen Lifttüren, die mit Efeuranken und Greifen geschmückt sind, leuchten die Etagennummern auf, sie zählen abwärts zu ihnen herunter. Die Minuten, die sie noch hat. Harper faltet die Hände vor seiner Hose, um seine Erregung zu verbergen. So dreist war er vorher noch nie. Er betastet die weiße Plastikscheibe von Julia Madrigals Pillenpackung in seiner Hosentasche. Es lässt sich nicht ungeschehen machen. Alles ist, wie es sein soll. Wie er es bestimmt hat.
    In der dritten Etage steigen sie aus, und er drückt die schwere Flügeltür weit genug auf, damit sie in den goldenen Saal gehen kann. Er tastet nach dem Lichtschalter. Es hat sich nicht einmal ein Schalter verändert, seit er hier mit Etta aufgepeppte Limonade getrunken hat, vor einer Woche, vor zwanzig Jahren, auch wenn die Tische und Stühle jetzt aufeinandergestapelt und die schweren Vorhänge hinter der umlaufenden Galerie zugezogen sind. Die nackten Figuren zwischen den Renaissancebögen mit dem geschnitzten Blattwerk strecken über den Raum hinweg die Arme nacheinander aus. Klassisch-romantisch, vermutet Harper, auf ihn allerdings wirken sie gequält, sehnen sich nach einem Trost, der ihnen versagt wird, sind ohne die Musik ganz verloren.
    «Was ist das?» Alice keucht vor Bewunderung.
    «Der Bankettsaal. Einer davon.»
    «Es ist wunderschön», sagt sie. «Aber außer uns ist niemand da.»
    «Ich will dich mit niemandem teilen», sagt er und schwingt sie an seinem Arm herum, um diesen Anklang des Zweifels aus ihrer Stimme zu vertreiben. Er fängt an zu summen, ein Lied, das er einmal gehört hat und das noch nicht geschrieben wurde, und tanzt dazu mit ihr durch den Saal. Es ist nicht unbedingt ein Walzer, aber etwas in der Art. Er hat die Schritte gelernt, wie alles andere auch: indem er andere Leute beobachtet und sie nachahmt.
    «Hast du mich hierhergebracht, um mich zu verführen?», fragt Alice.
    «Würdest du mir das denn erlauben?»
    «Nein!», sagt sie, aber sie meint ja, das weiß er. Sie wendet den Blick ab, aufgeregt, und schaut dann unter ihren Wimpern wieder auf, die Wangen noch rosig von der Kälte draußen. Das macht ihn wütend und konfus, weil er sie vielleicht doch verführen will. Etta hat ein elendes Gefühl in ihm hinterlassen.
    «Ich habe etwas für dich», sagt er und kämpft das Gefühl nieder. Er nimmt das samtene Schmuckkästchen aus der Tasche und klappt es auf, um das Armband mit den Glücksbringern zu enthüllen. Es glitzert schwach im Licht. Es hat schon immer ihr gehört. Es war ein Fehler, es Etta zu geben.
    «Danke», sagt sie, ein bisschen bestürzt.
    «Leg es um.» Er ist zu aggressiv. Er packt ihr Handgelenk zu fest, das merkt er, weil sie zusammenzuckt. Irgendetwas ändert sich in ihrer Haltung. Sie ist sich jetzt bewusst, in einem verlassenen Ballsaal zu sein, mit einem Fremden, den sie vor zehn Jahren ein einziges Mal gesehen hat.
    «Ich glaube, das möchte ich nicht», sagt sie zurückhaltend. «Es war sehr schön, dich wiederzusehen … Oh Gott, ich weiß nicht einmal, wie du heißt.»
    «Ich heiße Harper. Harper Curtis. Aber das ist nicht so wichtig. Ich möchte dir etwas zeigen, Alice.»
    «Nein, wirklich …» Sie windet ihre Hand aus seinem Griff, und als er sich auf sie stürzen will, zieht sie vor ihm einen Stapel mit Stühlen zu Boden. Während er sich durch die umgestürzten Möbel kämpft, hastet sie zur Seitentür.
    Harper geht ihr nach und schiebt die Tür auf, die zu einem düsteren Wartungskorridor führt, in dem Kabel aus den Rohrleitungen an der Decke herunterbaumeln. Er klappt das Messer auf.
    «Alice», ruft er fröhlich. «Komm zurück, Darling.» Er geht den Flur langsam hinunter, ohne bedrohlich zu wirken, die Hand hat er hinter dem Rücken versteckt. «Es tut mir leid, Sweetheart. Ich wollte dir keine Angst machen.»
    Er biegt um die Ecke. An der Wand lehnt eine Steppmatratze mit einem grünlichen Fleck. Wenn sie schlau ist, hat sie sich vielleicht dahinter versteckt, um abzuwarten, bis er an ihr vorbeigegangen ist.
    «Ich war zu ungeduldig, ich weiß. Ich habe einfach viel zu lange auf dich warten müssen.»
    Weiter vorn ist ein Lagerraum, die Tür steht einen Spalt offen, und man sieht noch mehr aufgestapelte Stühle. Sie könnte sich dort drin verstecken, hinter den

Weitere Kostenlose Bücher