Shining Girls (German Edition)
Gefallen schuldet.
«Wohin möchtest du gehen?»
«Irgendwohin, wo es aufregend ist. Du kannst entscheiden. Wir gehen, wohin du willst.»
Am Schluss ist die Verlockung immer zu groß. Für sie beide.
Er nimmt sie zu kurzen Ausflügen mit. Nicht mehr wie beim ersten Mal. Eine halbe Stunde, zwanzig Minuten, was bedeutet, dass sie in der näheren Umgebung bleiben. Er drängt sie, den Highway zu besichtigen, und sie drückt ihr Kinn an seine Schulter und verbirgt ihr Gesicht vor dem brüllenden Verkehr, oder sie hüpft mit aufgesetztem weiblichem Entzücken händeklatschend vor den Waschmaschinen im Waschsalon auf und ab. Sie wissen beide, dass sie ihre Reaktionen vortäuscht, und sie haben ihr Vergnügen daran. Sie spielt die Art Frau, die ihn braucht. Aber er kennt ihr verdorbenes Herz.
Vielleicht, denkt er, ist es ja möglich. Vielleicht war Catherine das Ende. Vielleicht leuchtet
keines
der Mädchen mehr, und er kann sich davon befreien. Aber der Raum summt immer noch, wenn er hinaufgeht. Und die verdammte Krankenschwester geht ihm nicht von der Pelle. Sie reibt ihre bloßen Brüste, die sie aus dem Ausschnitt ihrer Schwesterntracht herausgeholt hat, an der Haut seines Arms, wo er die Hemdsärmel aufgerollt hat, und fragt mit Kleinmädchenstimme: «Ist es schwer? Ist da oben ein Einstellring, an dem du drehst, wie bei einem Ofen?»
«Es funktioniert nur bei mir», sagt er.
«Dann kann es dir doch nichts ausmachen, mir zu erklären, wie es geht.»
«Du brauchst den Schlüssel. Und den Willen, die Zeit dorthin zu drehen, wo sie sein muss.»
«Kann ich es mal versuchen?» Sie lässt nicht locker.
«Das ist nichts für dich.»
«Wie das Zimmer im ersten Stock?»
«Hör mit deinen ewigen Fragen auf.»
Er wacht auf dem Küchenfußboden auf, die Wange an das kühle Linoleum gepresst, und hinter seinen Augäpfeln klopfen kleine Männer mit Hämmern in seinem Kopf herum. Groggy setzt er sich auf und wischt sich mit dem Handrücken den Speichel vom Kinn. Das Letzte, an das er sich erinnert, ist Etta, die ihm einen Drink mixt. Mit dem gleichen starken Alkohol, den sie getrunken haben, als sie das erste Mal zusammen ausgegangen sind, aber mit einem bitteren Nachgeschmack.
Natürlich, sie muss Zugang zu Schlafmitteln haben. Er verflucht sich für seine Dummheit.
Sie zuckt zusammen, als er in das Zimmer kommt. Aber sie fängt sich gleich wieder. Der Koffer liegt offen auf der Matratze, wohin er ihn geschleppt hat, nachdem ihm aufgefallen war, dass aus dem Haus Sachen verschwanden. Das Geld ist stapelweise angeordnet.
«Das ist so schön», sagt sie. «Was für ein Anblick. Das ist wirklich kaum zu glauben.» Sie durchquert das Zimmer, um ihn zu küssen.
«Warum bist du hier raufgegangen? Ich habe dir gesagt, du sollst nicht nach oben gehen.» Er verpasst ihr eine Ohrfeige, die sie zu Boden wirft.
Sie umfasst mit beiden Händen ihre Wange, dort unten auf dem Boden, die Beine unter sich gezogen. Sie lächelt ihn an, aber zum ersten Mal liegt eine Spur Unsicherheit darin.
«Baby», sagt sie beruhigend, «ich weiß, dass du sauer bist. Das ist okay. Aber ich musste es sehen. Du wolltest es mir nicht zeigen. Aber jetzt habe ich es gesehen, und ich kann dir helfen. Du und ich? Wir erobern die ganze Welt.»
«Nein.»
«Wir sollten heiraten. Du brauchst mich. Es geht dir besser mit mir.»
«Nein», sagt er noch einmal, obwohl es stimmt. Er versenkt seine Finger in ihrem Haar.
Er muss ihren Kopf sehr lange an das metallene Bettgestell schlagen, bis ihr Schädel aufplatzt. Als wäre er für immer in diesem Moment gefangen.
Er sieht den obdachlosen jungen Junkie mit den hervortretenden Augen nicht, der wieder ins Haus geschlichen ist, fertig von den gestreckten Drogen und auf einen besseren Schuss hoffend, und der ihn starr vor Entsetzen vom Flur aus beobachtet. Er hört nicht, wie sich Mal umdreht und die Treppe hinunterflüchtet. Denn Harper schluchzt vor lauter Selbstmitleid, Tränen und Rotz laufen ihm übers Gesicht. «Du hast mich dazu gebracht, das zu tun. Du bist schuld, du verfluchtes Weibsstück.»
Alice
1 . Dezember 1951
«Alice Templeton?», fragt er unsicher.
«Ja?» Sie dreht sich um.
Es ist der Augenblick, auf den sie ihr Leben lang gewartet hat. Sie hat ihn in ihrem Kopfkino ablaufen lassen, zurückgespult, es wieder und wieder gespielt.
Er kommt in die Schokoladenfabrik, und alle Maschinen bleiben aus Sympathie knirschend stehen, und all die anderen Mädchen schauen zu, wenn er mit
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