Shining Girls (German Edition)
gelegen haben, sind auf den Boden gefallen. Eine Bronzedame, unter deren Rock sich eine Glocke verbirgt, liegt neben einem Porzellanvogel, dem der Kopf abgebrochen wurde, sodass sich eine gezackte Wunde in dem weißen Porzellan geöffnet hat. Der Vogelkopf starrt ausdruckslos auf ein Modeheft mit schlaksigen jungen Frauen in hässlichen Sachen.
Die Couch ist aufgeschlitzt worden; lange, gewalttätige Schnitte haben die weichen Synthetikinnereien und die Holzgestellknochen bloßgelegt.
Oben steht die Schlafzimmertür einen Spalt offen. Auf dem Zeichentisch durchtränkt verschüttete schwarze Tinte das Papier, macht die Illustration eines neugierigen Entenkükens unkenntlich, das gerade das Skelett eines toten Waschbären in einem Braunbärenbauch ausfragt. Ein paar der handgeschriebenen Worte sind gerade noch lesbar.
Es ist so schaurig, ich bin so traurig,
doch dankbar für das Leben, das mir war gegeben.
Ein farbiges Glaselement schwingt träge in der Sonne, die durchs Fenster hereinfällt, und wirft irre Lichtkreise durch das verwüstete Zimmer.
Die Nachbarn sind nicht gekommen, um nach dem Grund des Lärms zu suchen.
Kirby
13 . Juni 1993
«Oh hey», sagt Chet und sieht von
The Maxx
auf, dessen Cover einen lilafarbenen Typen mit gelber Maske zeigt. «Ich bin auf was richtig, richtig Cooles gestoßen, was deine geheimnisvolle Baseballkarte angeht. Sieh mal hier.» Er schlägt den Comic zu und legt einen Mikrofiche-Ausdruck aus dem Jahr 1951 vor sie.
«Das hat einen richtigen Skandal hervorgerufen. Ein Transsexueller ist vom Dach des Congress Hotels gesprungen, und niemand wusste bis zur Obduktion, dass sie ein Er war. Aber das Beste ist das, was neben der Leiche lag.» Er deutet auf das Foto einer schlaffen Frauenhand, die unter einem Mantel heraushängt, den jemand über Alice geworfen hat. Daneben ist unscharf eine Plastikscheibe mit Einstellring zu sehen. «Sieht das nicht genau aus wie eine Antibabypillen-Packung von heutzutage?»
«Oder es ist ein kitschiger Taschenspiegel mit Perlmuster.» Dan tut die Idee ab. Das Letzte, was er will, ist, dass Chet Kirby bei ihren wahnsinnigen Ideen ermutigt. «Jetzt tu mal was Sinnvolles und such mir sämtliche Informationen über Hasbro, die du finden kannst, und außerdem, wann sie angefangen haben, Ponys zu produzieren und Spielzeugpatente anzumelden.»
«Da ist wohl jemand auf der falschen Seite des Futons aufgewacht, oder?»
«Auf der falschen Seite der Zeitzone», grummelt Dan.
«Bitte, Chet», mischt sich Kirby ein, «von 1974 an. Es ist wirklich wichtig.»
«Ist ja schon gut. Ich fange mit den Werbungen an und mache von dort aus weiter. Und oh, übrigens, Kirby, du hast gerade einen total Irren verpasst, der hier nach dir gesucht hat.»
«Nach mir?»
«Das war echt heftig. Und Kekse hat er auch keine mitgebracht. Kannst du ihn bitten, nächstes Mal Kekse mitzubringen? Ich hab’s nicht gern mit diesem Grad von Geisteskrankheit zu tun, wenn ich keine hochkalorische Kompensation geboten kriege.»
«Wie hat er ausgesehen?» Dan hebt den Kopf.
«Ich weiß nicht. Der typische Irre eben. Ziemlich gut angezogen, allerdings. Dunkles Sportjackett. Jeans. Eher der magere Typ. Stechende blaue Augen. Er wollte was über diese Hochschulsportler des Jahres wissen. Und gehinkt hat er.»
«Shit», sagt Dan, noch während er diese Information verarbeitet. Kirby hat schneller verstanden. Allerdings wartet sie auch schon seit vier Jahren auf ihn.
«Wann ist er gegangen?» Sie ist bleich geworden, ihre Sommersprossen heben sich scharf von ihrer Haut ab.
«Was ist auf einmal los mit euch?»
«Wann ist er
verdammt noch mal
gegangen, Chet?»
«Vor fünf Minuten.»
«Kirby, warte!» Dan greift nach ihrem Arm und verpasst ihn. Sie ist schon aus der Tür gerannt. «Fuck!»
«Wow. Hier geht es ja zu wie bei
Die Straßen von San Francisco
. Was ist los?», fragt Chet.
«Ruf die Polizei, Chet. Frag nach Andy Diggs, oder, Mist, wie heißt der noch mal? Amato. Der Typ, der den Fall der ermordeten Koreanerin bearbeitet.»
«Und
was genau
soll ich ihnen sagen?»
«Egal, Hauptsache, du schaffst sie hierher!»
Kirby fliegt die Treppen hinunter und nach draußen. Sie muss sich für eine Richtung entscheiden, also rennt sie die North Wabash Avenue entlang und bleibt mitten auf der Brücke stehen, um mit ihren Blicken die Passantenströme nach
ihm
abzusuchen.
Der Fluss ist heute mediterran blaugrün, genau die gleiche Farbe wie das Dach des spitzbugigen
Weitere Kostenlose Bücher