Shining Girls (German Edition)
Haus.
Dielenbretter statt Knochen. Wände statt Fleisch.
Er kann es zurückdrehen. Von vorne anfangen. Das hier ungeschehen machen. Die Hitze der Flammen und den erstickenden Rauch und die brüllende Wut.
Es ist weniger eine Besessenheit als eine Infizierung.
Das Haus war immer seines.
Immer er.
Kirby
13 . Juni 1993
Es wird immer heißer. Der Rauch dringt mit ihrem Keuchen in ihren Körper ein, kriecht ihr in die Lunge. Sie würde am liebsten einfach so hier sterben. Die Augen geschlossen halten. Nie mehr aufstehen. Es wäre einfach. Sie würde ersticken, bevor die Flammen sie erreicht hätten. Sie könnte einfach tief durchatmen. Es loslassen. Es ist erledigt.
Irgendetwas grapscht drängend nach ihrer Hand. Wie ein Hund.
Sie will es nicht, aber sie schlägt die Augen auf und sieht Dan, der ihre Hand drückt. Er kniet vorgebeugt über ihr. Seine Finger sind klebrig vor Blut.
«Bisschen Hilfe gefällig?», sagt er mit rasselndem Atem.
«Oh Gott.» Sie zittert immer noch, weint und hustet. Sie schlingt die Arme um ihn, und er zuckt zusammen.
«Au!»
«Halt durch. Ich brauche deine Jacke.» Sie hilft ihm aus der Jacke und verknotet sie, so fest sie kann, über der Wunde um seinen Bauch. Der Stoff ist blutdurchtränkt, noch bevor sie fertig ist. Sie darf nicht darüber nachdenken. Sie kriecht unter seinen Arm und drückt sich gegen den Boden, um sich hochzustemmen. Aber er ist zu schwer, sie bekommt ihn nicht hoch. Ihre Stiefel rutschen durch sein Blut.
«Vorsichtig, verdammt.» Er ist schrecklich blass geworden.
«Okay», sagt sie. «So geht es.» Sie macht die Schultern rund, sodass sie den größten Teil seines Gewichts damit stützen kann, zieht ihn hoch und geht mit schleppenden, langsamen Schritten vorwärts. Hinter ihnen knistert das Feuer, züngelt gierig an den Wänden hinauf. Die Tapete wird schwarz und krümmt sich, Rauchfetzen schweben aufwärts.
Und Gott steh ihr bei, sie spürt
ihn
immer noch hier drin.
Halb kriechen, halb fallen sie Richtung Haustür. Sie kommt in ein unsicheres Gleichgewicht und schließt die Tür von innen mit einem Fußtritt vor dem Eis und Schnee draußen.
«Was machst du denn da?»
«Ich versuche, nach Hause zu kommen.» Sie hilft ihm auf alle viere. «Halt noch ein bisschen durch. Noch eine Sekunde.»
«Ich würde dich gern küssen», sagt Dan mit brüchiger Stimme.
«Nicht sprechen.»
«Ich weiß nicht, ob ich so stark bin wie du.»
«Wenn du mich noch mal küssen willst, dann halt verdammt noch mal jetzt die Klappe und hör auf zu verbluten», faucht sie.
«Okay», keucht Dan mit schwachem Lächeln, und dann, etwas entschlossener: «Okay.»
Kirby atmet tief ein und öffnet die Tür in einen Sommerabend voller Polizeisirenen und zuckender Blaulichter.
Bartek
3 . Dezember 1929
Der polnische Ingenieur parkt das Auto über zwei Blocks entfernt, bleibt bei laufendem Motor darin sitzen und denkt über das nach, was er gesehen hat. Es war ein schlimmer Anblick, so viel weiß er. Er hat nicht genau mitbekommen, was passiert ist. Der Mann lag mitten auf der Straße blutend im Schnee. Er hat einen Riesenschrecken bekommen. Er hätte ihn beinahe überfahren. Er hatte sich nicht richtig auf die Straße konzentriert. Ist ganz mechanisch den üblichen Nachhauseweg gefahren, die ganze Strecke von Cicero bis hierher.
Er ist ein bisschen betrunken, gesteht sich Bartek selber ein. Sogar sehr. Wenn er anfängt zu verlieren, greift er leichter zum Gin. Und Louis hat dafür gesorgt, dass die ganze Nacht genügend zu trinken da war, sogar bis zum frühen Morgen, da hatte Bartek allerdings schon lange keinen Cent mehr in der Tasche. Da hat ihm Louis Kredit gegeben. Genug, um komplett zu versacken. Und jetzt schuldet er Louis Cowen 2000 Dollar.
Er kann von Glück reden, dass er überhaupt noch mit dem Auto wegfahren konnte. So lautet nämlich die unschöne Wahrheit. Sie werden das Auto am Sonntagvormittag direkt vor der Messe abholen, wenn er es bis zum Wochenende nicht schafft, das Geld zusammenzubekommen. Das ist noch besser, als selbst abgeholt zu werden, aber das ist als Nächstes dran. Diamond Lou Cowen lässt sich von niemandem für dumm verkaufen.
Mit stadtbekannten Gangstern zu zocken. Mit Intimfreunden von Mr. Capone herumschwänzeln. Was hat er sich nur dabei gedacht? Er hat auch so schon genügend Probleme am Hals, ohne dass er um fünf Uhr morgens mitten in eine blutige Auseinandersetzung gerät.
Aber er ist neugierig geworden. Auf den Schimmer, der aus
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