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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
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Datum ist wichtig. Sorgfältig prüft er sein Geld. Mit Zeitungen ist es am einfachsten, sich zu orientieren, aber ein guter Beobachter findet auch andere Hinweise. Die Anzahl der Autos, mit denen die Straßen verstopft sind. Schilder mit Straßennamen, die von Gelb mit schwarzer Schrift zu Grün gewechselt sind. Das Überangebot. Die Art, auf die sich Fremde in der Öffentlichkeit begegnen, wie offen oder abwehrend sie sich geben, wie viel Distanz sie halten.
    Ganze Tage verbringt er im Jahr 1964 im Flughafen, schläft auf den Plastikstühlen im Aussichtsbereich, beobachtet Flugzeuge beim Starten und Landen; Metallmonster, die Menschen und Koffer verschlingen und sie wieder ausspucken.
    Im Jahr 1972 übermannt ihn die Neugierde, und er fängt eine Unterhaltung mit einem Bauarbeiter an. Der Mann arbeitet am Stahlskelettbau des Sears Towers und hat gerade Pause. Und ein Jahr später, als der Bau fertig ist, kommt Harper wieder, um mit dem Aufzug ganz nach oben zu fahren. Bei dem Ausblick fühlt er sich wie ein Gott.
    Er testet die Grenzen aus. Er muss nur an eine Zeit denken, und die Tür öffnet sich in sie, auch wenn er nicht immer weiß, ob seine Gedanken seine eigenen Gedanken sind oder ob das Haus für ihn entscheidet.
    In der Zeit zurückzugehen ist ihm unangenehm. Er fürchtet, dass er plötzlich in der Vergangenheit in der Falle sitzen könnte. Und er schafft es ohnehin nicht weiter zurück als bis 1929 . Und in der Zukunft kommt er nicht weiter als 1993 , wenn seine Nachbarschaft komplett am Ende ist, sämtliche Häuser leerstehen und ihn kein Mensch mehr belästigt. Vielleicht erfüllt sich die Offenbarung: der Untergang der Welt in Feuer und Schwefel. Das würde er gern erleben.
    Für Mr. Bartek ist jedenfalls garantiert Endstation. Harper beschließt, dass es am sichersten ist, den Kerl so weit wie möglich von seiner eigenen Lebenszeit entfernt abzulegen. Die Beseitigung ist mühselig. Er schlingt ein Seil um die Leiche, unter den Achseln und zwischen den Beinen hindurch. Die verflüssigten Innereien fangen an, durch die Kleidung zu suppen, sodass der Körper, als er ihn – schwer auf seine Krücke gestützt – zur Haustür zieht, eine Schleimspur auf den Dielenbrettern hinterlässt.
    Harper konzentriert sich auf ferne Zeiten und tritt kurz vor der Morgendämmerung in den Sommer 1993 hinaus. Es ist noch dunkel, noch zwitschern keine Vögel, allerdings hört er irgendwo einen Hund bellen, ein schroffes
hauk-hauk-hauk
, das die Stille zerschneidet. Harper bleibt trotzdem eine Minute auf der Veranda stehen, um sicher zu sein, dass niemand in der Nähe ist. Dann zerrt er die Leiche holprig die Treppe hinunter.
    Es kostet ihn weitere zwanzig Minuten Schweiß und Gewuchte, um den Toten in einen Müllcontainer zu schaffen, den er in einer Gasse zwei Blocks weiter ausfindig gemacht hat. Doch als er den schweren Metalldeckel aufschiebt, sieht er, dass in dem Container schon eine Leiche liegt. Das Gesicht ist von der Strangulation aufgequollen und violett verfärbt, die rosa Zunge hängt zwischen den Zähnen heraus, die Augen sind blutunterlaufen und erinnern an einen Frosch, doch die Mähne ist unverkennbar. Der Arzt aus dem Mercy Hospital. Das sollte Harper überraschen. Aber seine Vorstellungskraft ist begrenzt. Diese Leiche ist hier, weil es so sein soll, und das genügt.
    Er hievt Bartek auf den Arzt und schiebt Müll über sie. Sie werden sich beim Madenfüttern gegenseitig Gesellschaft leisten.
     
    Er kehrt immer nach Hause zurück. Das Haus erscheint ihm wie Niemandsland, aber wenn er hinausgeht und dabei an seine eigene Zeit denkt, stellt er fest, dass die Tage wie gewohnt vergangen sind.
    Er verpasst versehentlich Neujahr 1932 , aber am Tag darauf lädt er sich selbst zu einem Steak ein. Auf dem Heimweg sieht er ein farbiges junges Mädchen, und der untrügliche, blitzartige Schock des Wiedererkennens und der Zwangsläufigkeit trifft ihn wie ein Schlag. Eine von seinen.
    Sie sitzt neben einem kleinen Jungen auf den Stufen, beide mit dicken Jacken und Schal und reißt Seiten aus einer Zeitung, um daraus kleine Papierflieger zu falten.
    «Hallo Kleine», sagt Harper. «Was machst du da? Ich dachte, Zeitungen seien zum Lesen da.«
    «Ich kann gut lesen», sagt sie und schaut ihm frech in die Augen. Die Art von Blick, die einen geradezu umhaut. Sie ist älter, als er zuerst dachte. Fast schon eine junge Frau.
    «Du sollst doch nicht mit weißen Männern reden, Zee», zischt der Junge.
    «Das ist schon

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