Shining Girls (German Edition)
in Ordnung, wir müssen uns nicht an all diese Vorschriften halten», beruhigt ihn Harper. «Außerdem habe ich sie ja zuerst angesprochen, stimmt’s? Also war es kein Ungehorsam von ihr, oder, kleiner Mann?»
«Wir machen Flugzeuge.» Sie nimmt Schwung und lässt einen der Flieger los, der sekundenlang elegant durch die Luft segelt, bevor er eine Bruchlandung macht und auf den kalten Bürgersteig vor ihm plumpst.
Er will sie fragen, ob sie das noch mal tut, um die Begegnung zu verlängern, doch noch bevor er es sagen kann, tritt eine Frau mit einem Schälmesser in der Hand aus einem der angrenzenden Häuser, und die Tür schlägt hinter ihr zu. Sie funkelt Harper böse an.
«Zora Ellis! James! Ihr kommt augenblicklich rein.»
«Hab’s doch gleich gesagt», erklärt der Junge und klingt dabei zugleich selbstgefällig und hämisch. Das junge Mädchen geht zu dem Papierflieger hinüber, hebt ihn auf und klopft sich den Staub vom Rock.
«Tja, wir sehen uns bald wieder, Herzchen», sagt Harper.
«Das glaube ich nicht, Mister. Das würde mein Daddy nicht gut finden.»
«Ich will deinen Vater natürlich nicht aufregen. Richte ihm meine Grüße aus, hörst du?»
Pfeifend geht er weg, die Hände in die Hosentaschen gerammt, damit sie aufhören zu zittern. Es macht nichts. Er wird sie wiederfinden. Er hat alle Zeit der Welt.
Aber er ist so erfüllt von ihr, Zora-Zora-Zora-Zora klingt so laut durch seinen Kopf, dass er einen Fehler macht und nach dem Aufschließen die gottverdammte Leiche wieder im Flur liegt, das Blut feucht auf den Dielen und der Truthahn noch gefroren. Geschockt starrt er auf den Anblick. Und dann duckt er sich über die Schwelle und unter dem hölzernen X der Bretter ins Freie zurück und zieht die Tür zu.
Mit zitternden Händen fummelt er den Schlüssel erneut ins Schlüsselloch. Dann konzentriert er sich mit aller Kraft auf das aktuelle Datum. Den 2 . Januar 1932 . Als er die Tür dieses Mal mit seiner Krücke aufstößt, ist Mr. Bartek zu seiner Erleichterung verschwunden.
Jetzt sehen Sie ihn! Und jetzt sehen Sie ihn nicht mehr!
Es ist wie ein Zaubertrick.
Es war ein Fehltritt, als hätte die Nadel des Grammophons eine Rille der Schallplatte übersprungen. Es ist nur natürlich, dass er sich zu diesem Tag zurückgezogen fühlt. Dem Tag, an dem alles angefangen hat. Er hat sich nicht konzentriert. Er wird aufmerksamer sein müssen.
Aber der Druck lastet weiter auf ihm. Und jetzt, wo er zum richtigen Tag zurückgekehrt ist, spürt er die Gegenstände surren wie ein Hornissennest. Er lässt das Klappmesser in seine Tasche gleiten. Er wird Jin-Sook suchen. Das Versprechen erfüllen, das er ihr gegeben hat.
Sie gehört zu den Mädchen, die aufsteigen wollen. Er wird ihr ein Paar Flügel mitbringen.
Dan
2 . März 1992
Eigentlich sollte Dan seine Sachen für Arizona packen. Morgen beginnt das Frühlingstraining, und er ist auf den frühen Flug gebucht, weil es der billigste ist, aber die Vorstellung, seinen Single-Rollkoffer zu packen, ist einfach zu deprimierend.
Er hat es sich gerade bequem gemacht, um sich in einer Wiederholung die Höhepunkte der Winterolympiade anzuschauen, als dieses kränkliche elektronische Pfeifen ertönt, das seine Klingel gerade noch von sich geben kann. Noch etwas, das repariert werden muss. Als hätte er nicht schon die Batterien der Videorekorder-Fernbedienung mit denen der Fernseher-Fernbedienung auszutauschen. Er stemmt sich von der Couch hoch, um die Tür aufzumachen, und sieht Kirby mit drei Flaschen Bier in der Hand auf der anderen Seite des Fliegengitters stehen.
«Hey, Dan, kann ich reinkommen?»
«Oh. Hab ich überhaupt eine Wahl?»
«Bitte. Es ist scheißkalt hier draußen. Ich hab Bier mitgebracht.»
«Ich trinke keinen Alkohol, schon vergessen?»
«Es ist alkoholfrei. Es sei denn, du willst, dass ich stattdessen unten im Laden ein paar Karottensticks für dich besorge.»
«Nein, schon okay», sagt er, auch wenn es ziemlich wohlwollend ist, Miller Sharp’s alkoholfreies Gesöff als «Bier» zu bezeichnen. Er zieht die Fliegengittertür auf. «Solange du nicht erwartest, dass ich aufräume.»
«Würde ich nie machen», sagt sie und schiebt sich schnell unter seinem Arm durch. «Hey, schöne Wohnung.»
Dan schnaubt bloß.
«Na ja, dann eben schön, eine Wohnung zu haben.»
«Wohnst du bei deiner Mom?» Er hat seine Hausaufgaben gemacht, die Zeitungsberichte über sie und seine eigenen Notizen noch einmal gelesen, um sich wieder mit den
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