Shining Girls (German Edition)
der Seite, links, rechts. Ein Typ mit einer riesigen Brille, der vor Coolness nur so strotzt, ein Schönling mit zurückgegeltem Haar, ein Mann mit so ausgeprägten Hängebacken, dass man darin Drogen schmuggeln könnte.
«Wie alt war denn dieser Cop-Freund von dir eigentlich?»
«Achtundvierzig? Fünfzig? War schon ewig bei der Truppe. Polizist der alten Schule. Charmaine war seine zweite Frau. Die Scheidungsrate bei Polizisten liegt über dem Durchschnitt. Aber sie haben sich gut verstanden. Ich glaube, das hätte sogar auf die Dauer gehalten, wenn nicht der Unfall passiert wäre.»
Er schubst die Kartons auf dem Boden mit dem Stiefel an. «Ich glaube, wir sollten die alten Sachen aussortieren. Alles vor … 1970 ? Auf den Nutzlos-Stapel.»
«Okay.» Sie öffnet einen Karton, der mit 1987 – 1988 beschriftet ist, während Dan die Kartons mit den Daten vor 1970 zur Seite räumt.
«Was ist das denn?», fragt sie und hält ein Polaroid hoch, auf dem eine Reihe Männer mit Rauschebärten und winzigen roten Unterhosen zu sehen ist. «War das auf einer Bowlingbahn?»
Dan späht auf das Bild. «Auf dem Schießstand der Polizei. So haben sie früher die Gegenüberstellungen organisiert. Sie haben die Typen mit Scheinwerfern angeleuchtet, sodass sie die Person nicht sehen konnten, die sie identifizieren sollte. War ziemlich unangenehm, schätze ich. Die ganzen Einwegspiegel-Angelegenheiten gibt es nur in Kinofilmen und Polizeirevieren mit ordentlichem Budget.»
«Wow», sagt Kirby und mustert die behaarten Beine der Männer. «Die Geschichte geht mit der Mode nicht gerade freundlich um.»
«Hoffst du, deinen Typ auf dem Bild zu entdecken?»
«Das wäre doch echt nett, oder?» Die Sehnsucht und Bitterkeit in ihrer Stimme macht ihn fertig. Er hat sie auf eine aussichtslose Suche geschickt. Es ist reine Beschäftigungstherapie, damit sie ausgelastet ist, denn die Wahrheit lautet, dass sie keine Chance hat, den Irren zu kriegen. Und garantiert nicht, indem sie in Kartons herumwühlt. Aber es macht sie zufrieden, und er hatte Mitleid mit Charmaine, und er hat gedacht, dass beide Frauen dadurch vielleicht eine Möglichkeit finden, das Erlebte zu verarbeiten.
Geteiltes Gift ist halbes Gift. Oder vielleicht vergiftet es ja einfach trotzdem alle.
«Hör mal», sagt er, ohne recht zu wissen, was er da redet, «ich glaube, du solltest das doch nicht machen. Es war eine dumme Idee. Du willst all diesen Dreck nicht sehen, und es wird nirgendwohin führen und … ach Scheiße.»
Dann küsst er sie beinahe. Immerhin wäre das eine Art, seinen eigenen verflixten, blöden Mund zu verschließen, und weil sie so nahe bei ihm ist. So
da
. Und ihn mit all ihrer wachen, gierigen Neugier ansieht.
Er hält sich gerade noch rechtzeitig zurück. Relativ. Jedenfalls rechtzeitig genug, um nicht vor ihr dazustehen wie ein Schwachkopf voller Illusionen, den sie mit der gleichen, automatisch erfolgenden Federbewegung abstoßen würde wie ein Hebel am Flipperautomaten die Kugel. Rechtzeitig genug, dass sie nichts davon mitbekommt. Ehrlich, was hat er sich bloß gedacht? Er steht schon auf und wendet sich so schnell zur Tür, um hier rauszukommen, dass er seine Jacke vergisst.
«Mist. Sorry, es ist spät. Ich muss morgen früh raus. Ich hab Redaktionsdienst. Bis dann. Bald.»
«Dan», sagt sie, beinahe lachend vor Überraschung und Verwirrung.
Aber er hat die Tür schon ein wenig zu heftig hinter sich zugezogen.
Und das Fahndungsfoto mit der Beschriftung
Curtis, Harper 13 CHGO PD IR 136230 16 . Oktober 1954
bleibt, wo es ist, vergraben in einem Karton, der zur Seite gestellt wurde.
Harper
16 . Oktober 1954
Er bekommt Ärger, weil er zu früh zurückgeht. Am Tag nach Willie Rose. Natürlich fühlt es sich für ihn nicht danach an. Für Harper ist es schon Wochen her.
Er hat seitdem zweimal getötet: Bartek im Flur (eine unerfreuliche Pflicht) und das jüdische Mädchen mit dem wilden Haar. Aber er ist unruhig. Als er Kirby in das Vogelschutzgebiet gelockt hat, hoffte er, sie hätte das Pony dabei, das er ihr als Kind gegeben hat, damit er den Kreis schließen kann. Indem er Bartek tötete und der Frau in der Hooverville das Jackett zurückbrachte, hat er einen Kreis geschlossen. Das Geschenk ist wie ein loses Ende, das sich in irgendetwas verheddern kann, und das gefällt ihm nicht.
Er reibt sich über den bandagierten Arm, wo ihn der verdammte Hund gebissen hat. Wie das Frauchen, so der Köter. Wieder eine Lektion. Er war
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