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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
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steckt.
    Er hat den Hundebiss in sein Alibi einbezogen. Ein Köter hat ihn gebissen, als er der Bahn nachgerannt ist, um seinen Musterkoffer wiederzubekommen. Und genau um dieselbe Zeit ist diese bedauernswerte Architektin ermordet worden.
    Sicher ist, da sind sich die Ermittler einig, dass er irgendein abartiger Perverser ist, aber sie haben nicht genug in der Hand, um zu beweisen, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt oder ein Verdächtiger im Mordfall Miss. W. Rose ist. Sie beschuldigen ihn der Erregung öffentlichen Ärgernisses, heften das Fahndungsfoto ab und lassen ihn laufen.
    «Sie müssen in der Nähe bleiben», schärft ihm der Detective ein.
    «Ich werde die Stadt nicht verlassen», verspricht Harper, dessen Hinken sich durch die Prügel verstärkt hat. Dieses Versprechen hält er ein, mehr oder weniger, aber er kommt nie mehr ins Jahr 1954 zurück, und er rasiert sich den Bart ab.
    Danach kehrt er immer erst Jahre früher oder später an die Tatorte zurück, überspringt Jahrzehnte, um sich an der Stelle, an der ein Mädchen gestorben ist, einen runterzuholen. Das Nebeneinander von Erinnerung und Wechsel gefällt ihm. Es macht die Erlebnisse durchdringender.
    Es gibt noch mindestens zwei weitere Fotos von ihm in den Polizeiakten der vergangenen sechzig Jahre, allerdings hat er damals andere Namen angegeben. Ein Foto wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses im Jahr 1960 , weil er sich an einem Ort unzüchtig berührt hat, der einst zu einem Bauplatz werden wird, und ein Foto aus dem Jahr 1983 , als er einem Taxifahrer die Nase gebrochen hat, der ihn nicht nach Englewood fahren wollte.
    Das einzige Vergnügen, das er um keinen Preis aufgeben will, ist, Zeitung zu lesen und die Morde aus anderen Perspektiven nachzuerleben. Das muss in den Tagen unmittelbar nach der Tat erfolgen. Und auf diese Art findet er die Sache mit Kirby heraus.

Kirby
    11 . August 1992
    Sie sitzt im Vorzimmer von Delgado, Richmond&Associates, einer Kanzlei, deren Name noch das Beeindruckendste ist, denkt sie, als sie durch ein drei Jahre altes
Time
-Magazine blättert, dessen Titelblatt mit «Tod im Kugelhagel» aufmacht. Sie hat die Zeitschrift in die Hand genommen, weil ansonsten nur noch «Die neue Ud SSR » oder «Der Comedian Arsenio Hall» zur Auswahl standen, obwohl ihr eigentliches Interesse «Tod durch Messerstecher» ist und ihr Schusswaffen nichts nützen.
    Die Zeitschriften sind nicht das Einzige, was hier nicht mehr aktuell ist. Die Ledercouch hat schon bessere Zeiten gesehen. Auf den Blättern des Plastik-Gummibaums liegt eine feine Staubschicht, und mehr als eine Zigarette ist in seinem Topf ausgedrückt worden. Sogar die Empfangsdame trägt einen unmodernen Achtziger-Jahre-Haarschnitt. Kirby denkt, sie hätte sich für diese Gelegenheit vermutlich ein bisschen besser anziehen sollen. Auch wenn man den schlampigen Dresscode einer Zeitungsredaktion zugrunde legt, übertreibt sie es mit ihrem Fan-T-Shirt von der Hardcoreband Fugazi unter einem karierten Hemd und einer braunen Leder-Bomberjacke mit Wollfutter, die sie unten in der Maxwell Street günstig bekommen hat.
    Die Anwältin, Elaine Richmond, holt sie persönlich ab. Sie ist eine ruhig wirkende Frau mit schwarzen Hosen und einem Blazer, wachem Blick und Kurzhaarschnitt.
«Sun-Times?»
Sie lächelt und schüttelt Kirbys Hand zu heftig, wie eine einsame unverheiratete Tante, die sich in einem Altersheim an die Besucher der anderen hängt. «Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.»
    Kirby folgt ihr einen Flur entlang in einen Sitzungsraum, der sehr beengt wirkt, weil zahlreiche Kartons in den Regalen die juristischen Handbücher verdrängen und sich auch auf dem Fußboden breit machen. Die Anwältin lässt einen Stapel rosafarbene und blaue Hefter voller Papiere auf den Tisch fallen, schlägt aber keinen davon auf.
    «Tja», sagt sie, «Sie kommen ein bisschen zu spät zur Party.»
    «Was?»
, bringt Kirby verständnislos heraus.
    «Wo waren Sie vor einem Jahr, als Jamel einen Selbstmordversuch unternommen hat? Da hätten wir ein bisschen Unterstützung von der Presse sehr gut brauchen können.» Sie lacht traurig.
    «Das tut mir leid», sagt Kirby und fragt sich, ob sie überhaupt in der richtigen Kanzlei ist.
    «Erzählen Sie das mal seiner Familie.»
    «Ich bin nur eine Praktikantin. Ich dachte, das könnte eine gute Story über … mh», sie improvisiert, «Justizirrtümer und ihre schrecklichen Folgen geben. Geschichten, die das Leben schrieb,

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