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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
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mitnimmt.
    Die Namen der Mädchen sind wieder und wieder nachgezogen worden, bis die Buchstaben angefangen haben auszufasern. Er erinnert sich daran, es getan zu haben. Er hat keine Erinnerung daran, es getan zu haben. Eins davon muss wahr sein. Es zieht sich manchmal in seiner Brust zusammen wie die Feder einer Uhr, die zu stark aufgezogen wurde.
    Er reibt die Fingerspitzen zusammen und stellt fest, dass sie seidig von Kreidestaub sind. Es ist alles nicht mehr klar. Es fühlt sich an wie die Verdammnis. Dadurch wird er trotzig, als ob er etwas tut, nur um zu sehen, was passieren wird. Wie bei Everett und dem Laster.
     
    Sein Bruder erwischte ihn mit dem Huhn. Harper hatte über dem Tier gehockt, als es mit den kurzen Flügeln flatterte und sich unaufhörlich piepsend dahinschleppte. Seine Beinstümpfe hinterließen dicke, blutige Schleimspuren im Staub. Er hörte Everett kommen, das Klatsch-Klatsch seiner Schuhe, die an ihn weitergegeben würden und an denen sich jetzt schon die Sohle löste. Er blinzelte zu seinem älteren Bruder hinauf, der ihn wortlos beobachtete, die Morgensonne hinter dem Kopf, sodass Harper seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. Das Huhn fiepste und zuckte, versuchte erfolglos, den Hof zu überqueren. Everett verschwand. Er kam mit einer Schaufel zurück und schlug den Vogel zu Brei.
    Er schleuderte den Klumpen aus Federn und klebrigen Innereien in das hohe Gras hinter dem Hühnerstall, dann verpasste er Harper eine Ohrfeige, die ihn auf den Hintern fallen ließ. «Weißt du nicht, woher die Eier kommen? Dummkopf.» Er beugte sich vor, um Harper hochzuziehen, und klopfte ihm den Staub ab. Sein Bruder war nie lange wütend auf ihn. «Erzähl Dad bloß nichts davon», sagte Everett.
    Der Gedanke war Harper überhaupt nicht gekommen. Genauso wenig, wie es ihm einfiel, die Handbremse zu ziehen, als der Unfall passierte.
    Harper und Everett fuhren in die Stadt, um Viehfutter zu holen. Everett ließ ihn fahren. Aber Harper, der vielleicht elf Jahre alt war, nahm mit dem Red-Baby-Truck eine Kurve zu eng und schnitt die Grabenkante. Sein Bruder packte das Steuer und lenkte den Transporter zurück auf die Straße. Aber so schlaff, wie das Gummi flappte, und so schwammig, wie die Lenkung ging, wusste sogar Harper, dass der Reifen platt war.
    «Bremsen!», schrie Everett. «Fester!» Er hängte sich ans Steuer, und Harper rammte seinen Fuß aufs Pedal. Everetts Kopf wurde ans Seitenfenster geschleudert, und das Glas zersplitterte. Der Wagen brach seitlich aus, die Bäume drehten sich und verschmolzen miteinander, bevor sie mit einem rüttelnden Schlag mitten auf der Straße stehen blieben. Harper schaltete die Zündung aus. Der Motor kam klickend zur Ruhe.
    «Es ist nicht deine Schuld», sagte Everett und hielt sich den Kopf, an dessen Seite schon eine Beule anschwoll. «Es ist meine. Ich hätte dich nicht fahren lassen sollen.» Er ließ die Tür in den dunstigen Morgen mit der jetzt schon hohen Luftfeuchtigkeit aufschwingen. «Bleib hier.»
    Harper drehte sich in der Fahrerkabine um und sah Everett auf der Ladefläche das Ersatzrad losmachen. Eine Brise fuhr durch die Maisfelder, zu schwach, um mehr auszurichten, als die Hitze zu bewegen.
    Sein Bruder lief mit dem Wagenheber und dem Schraubenschlüssel vorn um die Kühlerhaube. Er ächzte, als er den Wagenheber unter den Transporter rammte und ihn hochkurbelte. Die erste Schraubenmutter löste sich leicht, aber die zweite saß fest. Everetts magere Schultern spannten sich unter der Anstrengung an. «Bleib einfach, wo du bist, ich schaff das schon», rief er Harper zu, der nicht vorgehabt hatte, sich von seinem Platz zu rühren.
    Everett trat an den Griff des Schraubenschlüssels. Und da rutschte der Transporter vom Wagenheber. Und begann, langsam wieder auf den Graben zuzurollen.
    «Harper!», schrie Everett gereizt. Und dann, schrill und panisch, als sich der Transporter weiter auf ihn zubewegte: «Zieh die Handbremse, Harper!»
    Aber er tat es nicht. Er saß unbeweglich da, als Everett mit den Händen auf der Kühlerhaube versuchte, den Transporter zurückzudrücken. Das Gewicht schob ihn von den Füßen, bevor es über ihn rollte. Sein Becken machte ein scharfes, knackendes Geräusch, wie ein Pinienzapfen im Kaminfeuer. Es war schwer, irgendetwas über Everetts Schreien hinweg zu hören. Es hörte und hörte nicht auf. Schließlich stieg Harper aus, um es sich anzusehen.
    Das Gesicht seines Bruders hatte die Farbe von gammeligem Fleisch,

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