Shining
Hallorann gedacht. Er hat gesagt, dass die Dinge wie Bilder in einem Buch sind, und wenn ich … ich mir immer wieder sagte… du bist nicht da, geh weg, du bist nicht da … würden sie verschwinden. Aber das funktionierte nicht.«
Seine Stimme klang jetzt hysterisch.
»Sie packte mich … drehte mich um … und ich konnte ihre Augen sehen … oh, was für Augen … und sie fing an, mich zu würgen … ich konnte sie riechen … ich konnte riechen, wie tot sie war …«
»Hör auf jetzt, pssst«, sagte Wendy erschrocken. »Hör auf, Danny. Es ist ja schon gut. Es –«
Sie wollte schon wieder mit ihrem albernen Gesumme anfangen. Das Wendy Torrance-Allzweckgesumme.
»Lass ihn ausreden«, sagte Jack knapp.
»Mehr war nicht«, sagte Danny. »Ich wurde ohnmächtig. Entweder weil sie mich würgte oder aus Angst. Als ich wieder zu mir kam, träumte ich, dass du meinetwegen mit Mommy Streit hattest und dass du wieder das Schlimme tun wolltest, Daddy. Dann wusste ich, dass es gar kein Traum war … und ich war wie der wach … und … . ich hab’ in die Hose gemacht. Ich habe die Hose nassgemacht wie ein Baby.« Er ließ seinen Kopf gegen Wendys Brust sinken und weinte leise. Schlaff hingen seine Hände herab.
Jack stand auf. »Pass auf ihn auf.«
»Was willst du tun?« In ihrem Gesicht lag Entsetzen.
»Ich gehe hinauf in das Zimmer, oder was dachtest du, dass ich tun will? Kaffee trinken?«
»Nein! Tu’s nicht, Jack. Bitte, tu’s nicht!.«
»Wendy, wenn sich hier sonst noch jemand im Hotel aufhält, müssen wir es wissen.«
»Wag es nicht, uns alleinzulassen!« kreischte sie ihn an. Sie schrie so laut, dass ihr der Speichel von den Lippen sprühte.
Jack sagte: »Du lieferst eine bemerkenswerte Imitation deiner Mutter.«
Sie brach in Tränen aus und konnte sich nicht die Hände vor die Augen halten, weil sie Danny auf dem Arm hatte.
»Es tut mir leid«, sagte Jack. »Aber ich muss es tun. Ich bin der gottverdammte Hausmeister. Dafür werde ich bezahlt.«
Sie schluchzte nur noch heftiger, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern verließ die Küche, wobei er sich mit dem Taschentuch den Mund wischte. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
»Mach dir keine Sorgen, Mommy«, sagte Danny. »Ihm kann nichts passieren. Er sieht die Dinge nicht. Nichts hier kann ihm wehtun.« Unter Tränen sagte sie: »Nein, das glaube ich auch nicht.«
30
ERNEUTER BESUCH IN ZIMMER 217
Er nahm den Fahrstuhl nach oben, und es war ein seltsames Gefühl, denn seit ihrem Einzug hatte keiner von ihnen den Fahrstuhl benutzt. Er legte den Messinggriff um, und ächzend und vibrierend stieg die Kabine im Schacht nach oben. Das Messinggitter rasselte wie verrückt. Er wusste, dass Wendy eine geradezu klaustrophobische Angst vor dem Fahrstuhl hatte. Sie stellte sich vor, wie sie alle drei zwischen zwei Stockwerken hängen blieben, während draußen die Winterstürme tobten. Sie sah sie immer magerer und schwächer werden und verhungern. Oder sich gegenseitig essen, wie es bei der Reisegesellschaft in den Rocky Mountains geschehen war. Er hatte in Boulder einmal einen Aufkleber gesehen: RUGBYSPIELER ESSEN IHRE EIGENEN TOTEN. Er dachte an einen anderen Aufkleber: DU BIST WAS DU ISST. Oder an verschiedene Gerichte auf einer Speisekarte. Willkommen im Speisesaal des Overlook, Stolz der Rocky Mountains. Essen Sie luxuriös auf dem Dach der Welt. Menschenlende über Streichhölzern gebraten, La Specialitä de la Maison. Wieder zuckte das verächtliche Lächeln über sein Gesicht. Als die Zahl zwei an der Schachtwand auftauchte, riss er den Messinggriff wieder herum, und knarrend kam die Kabine zum Stehen. Er nahm die Exedrinflasche aus der Tasche, schüttelte sich drei Tabletten in die Hand und öffnete die Fahrstuhltür. Im Overlook gab es nichts, vor dem er Angst hatte. Das Gefühl hatte er ganz deutlich, das Overlook war simpatico.
Als er den Korridor entlang ging, warf er sich die Tabletten in den Mund und zerkaute sie einzeln. Er bog in den kurzen Gang ein, der vom Hauptkorridor abzweigte. Die Tür zu Zimmer 217 war angelehnt, und der Hauptschlüssel steckte im Schloss. Er erkannte schon von weitem das weiße Metallschild, an dem er befestigt war.
Er runzelte die Stirn, und Ärger, sogar Wut kam in ihm auf. Wie immer die Sache ausgegangen war, der Junge war ungehorsam gewesen. Er hatte ihm gesagt, und zwar mit Nachdruck, dass er bestimmte Örtlichkeiten im Hotel nicht betreten durfte: den Geräteschuppen, den Keller und
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