Shining
alle Gästezimmer. Sobald Danny sich von seinem Schrecken erholt hatte, würde er mit ihm darüber reden. Es gab viele Väter, die mehr getan hätten als bloß reden. Sie hätten eine kräftige Tracht Prügel verabreicht. Vielleicht brauchte Danny das auch. Wenn der Junge sich erschrocken harte, war es wirklich seine eigene Schuld.
Er ging an die Tür, zog den Hauptschlüssel ab, steckte ihn in die Tasche und trat ein. Die Deckenbeleuchtung war eingeschaltet. Er sah, dass das Bett unbenutzt war, und ging direkt zur Badezimmertür.
Eine seltsame Neugierde war in ihm erwacht. Obwohl Watson keine Namen oder Zimmernummern erwähnt hatte, war Jack ganz sicher, dass dies das Zimmer war, in dem die Frau des Anwalts mit ihrem Beschäler gewohnt hatte, dass dies das Badezimmer war, in dem man sie, voll von Barbituraten und Schnaps aus der Colorado Lounge, tot aufgefunden hatte.
Er stieß die mit Spiegelglas verkleidete Badezimmertür auf und ging hinein. Hier war das Licht ausgeschaltet. Er schlug gegen den Schalter und sah sich den wie ein Pullman-Wagen ausgestatteten Raum an. Der Stil der Jahrhundertwende, vielleicht in den Zwanzigern ein bisschen aufgemöbelt. Es war der gleiche Stil, in dem alle Badezimmer des Overlook ausgestattet waren, außer denen im dritten Stock – die waren ausgesprochen byzantinisch eingerichtet, wie es Politikern, Filmstars und anderen hohen Tieren zusteht.
Der in blassem Rosa gehaltene Duschvorhang war zugezogen, und nur die Klauenfüße der Wanne waren zu sehen.
(Dennoch, die Heckentiere hatten sich bewegt)
Und zum ersten Mal verließ ihn das Gefühl der Sicherheit (fast Frechheit), das ihn erfüllt hatte, seit Danny zu ihm gerannt war und geschrien hatte »Sie war es! Sie war es!« Ein kalter Finger legte sich ihm an den Rücken und kühlte ihn um zehn Grad ab. Weitere kamen hinzu und drangen bis zu seiner Medulla Oblongata vor. Sie spielten auf seinem Rückgrat wie auf einem Dschungelinstrument.
Seine Wut auf Danny verflog, und als er herantrat und den Duschvorhang zur Seite riss, empfand er mit seinem Sohn nur Mitgefühl, denn er selbst hatte jetzt Angst. Sein Mund war wie ausgetrocknet.
Die Wanne war trocken und leer.
Erleichterung und Gereiztheit machten sich in einem Schrei Luft, der sich wie eine kleine Explosion anhörte. Die Wanne war am Ende der Saison sorgfältig gescheuert und ausgewischt worden; außer den Rostflecken unter den beiden Wasserhähnen glänzte sie nur so. Schwach aber deutlich nahm er den Geruch eines Reinigungsmittels wahr, eines von der Art, die einem noch Monate nach Gebrauch in die Nase stechen.
Er bückte sich und fuhr mit den Fingern über den Boden der Wanne. Knochentrocken. Nicht eine Spur von Feuchtigkeit. Entweder hatte der Junge eine Halluzination gehabt, oder er hatte gelogen. Er wurde wieder wütend. Da erregte die Badematte auf dem Fußboden seine Aufmerksamkeit. Er betrachtete sie stirnrunzelnd. Was hatte die Matte hier zu suchen? Sie sollte zusammen mit den übrigen Laken und Handtüchern und Kopfkissenbezügen unten im Wäscheschrank liegen. Alle Wäsche müsste sich unten befinden. Nicht einmal die Betten in den Gästezimmern waren bezogen. Man hatte die Matratzen in Plastikfolien eingehüllt und darüber eine Tagesdecke gebreitet. Danny könnte sie heraufgeholt haben – mit dem Hauptschlüssel ließen sich auch die Wäscheschränke öffnen – aber warum? Er rieb mit den Fingern daran. Auch die Matte war knochentrocken.
Er ging an die Badezimmertür zurück und blieb dort stehen. Es war alles in Ordnung. Der Junge hatte geträumt. Alles lag oder stand an seinem Platz. Zugegeben, dass die Badematte hier lag, war merkwürdig, aber die logische Erklärung war, dass irgendein Zimmermädchen sie bei Saisonende in der Eile vergessen hatte. Abgesehen davon war alles -
Seine Nasenlöcher weiteten sich. Ein Desinfektionsmittel. Dieser selbstgerechte Geruch. Sauberer-als-du. Und – Seife?
Sicherlich nicht. Aber als der Geruch erst einmal identifiziert war, gab es keinen Zweifel mehr. Seife. Nicht die kleinen Riegel, die man in Hotels oder Motels vorfand. Es war ein leichter, parfümierter Duft. Damenseife. Eine Art rosiger Duft. Camay oder Lowila, die Sorte, die Wendy in Stovington immer benutzt hatte.
(Es ist nichts. Du bildest es dir nur ein.)
(Genau wie die Heckentiere. Dennoch: sie haben sich bewegt.) (Sie haben sich nicht bewegt!)
Mit ruckartigen Schritten ging er zur Zimmertür und fühlte dabei das unregelmäßige Pochen in den
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