Shit
ihre dünnen Unterarme übersäten.
Dann öffnete sie, immer stärker zitternd, das Heroinbriefchen, streute es auf den Löffel und vermischte das Pulver mitder Mischung aus Ascorbinsäure und Wasser aus dem kleinen Fläschchen. Sie hielt den am Griff verbogenen Löffel über den brennenden Kartuschenkocher und die brodelnde Soße löste sich auf. Dann schob sie den linken Ärmel des Pullovers hoch, band sich mit dem Gummiband den Oberarm ab. Als sie an ihrem vernarbten Unterarm keine geeignete Stelle fand, tastete sie ihr rechtes Fußgelenk ab und zog das Heroin in die Spritze. Es war höchste Zeit.
Sie musste sich die Spritze setzen und die Entzugserscheinungen wegdrücken, vor denen sich jeder Fixer fürchtet.
Dann zog sie die Spritze wieder aus dem Fuß.
Jetzt erst bemerkte sie die beiden Schuhe vor ihr und schaute erschrocken nach oben.
„Hi Anja! Wo warst du denn?“, fragte sie mit brüchiger Stimme und war froh, dass diese Schuhe nicht einer jungen Polizistin gehörten, die sie mindestens einmal in der Woche nervte.
„Hallo Sabine, war noch mal kurz in Koblenz. Die Bullen suchen mich aber immer noch und da hab ich mich schnell verpisst!“
„Tja, die Bullen. Scheißtypen“, stammelte die Fixerin und dachte an ihren Vater. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
Anja schwankte innerlich zwischen Mitleid und dem sehnlichen Wunsch, sich auch noch einen Schuss zu setzen.
Aber sie hatte kein Pac mehr.
Und mit den Gedanken steigerte sich erneut die innere Unruhe und Übelkeit.
Ihre Glieder schmerzten und der Schüttelfrost wurde unerträglicher.
Typische Entzugserscheinungen. Immer dann, wenn sie kein Heroin hatte.
Nicht, weil es in Köln Versorgungsprobleme gab.
Nein. Das war kein Problem.
Sondern weil sie kein Geld mehr hatte, um sich den nächsten Schuss zu kaufen.
Jonny hatte ihr eben noch ein paar Remedacen-Tabletten zugesteckt, die er sich mit gefälschten Rezepten in der Apotheke besorgt hatte. Die müsste sie zur Not einwerfen, wenn die Entzugserscheinungen schlimmer würden.
Ihr neue Freundin Sabine musste mehrmals am Tag Heroin drücken und verdiente sich das Geld auf dem Straßenstrich.
Ein eisiger Schauer durchströmte Anja bei dem Gedanken, ihren Körper zu verkaufen und einen schwitzenden, stinkenden, hektisch zuckenden Männerleib auf ihrem Körper zu dulden, während er in sie eindrang.
Angst vor Aids kannte Sabine nicht.
Sie war schon so kaputt, dass es ihr egal war.
Der Tod kann nicht schlimmer sein als dieses Scheißleben, hatte sie mal gesagt.
Das machte Anja Angst.
Sabine sank jetzt immer mehr in sich zusammen. Der Druck zeigte seine Wirkung.
Sabine starrte Anja lächelnd an.
„Hallo Mäuschen. Schön, dass du wieder da bist“.
Dann sah Anja das Pac Heroin, das direkt neben Sabine auf dem Asphalt lag. Anja erkannte ihre Chance, bückte sich, umarmte Sabine mit der linken Hand und küsste sie auf die Wange. Mit der rechten Hand hob sie gleichzeitig das Pac auf und steckte es in ihre Jackentasche.
Sabine legte ihren Kopf auf den Rucksack und schloss die Augen.
Im gleichen Augenblick griff Anja nach Sabines blutbesudelter Spritze, ging ein paar Schritte weiter und bereitete hinter den stinkenden Mülltonnen das Pac vor. Wie spät war es eigentlich?
Sie wusste nicht, wie viel Zeit seit dem letzten Schuss vergangen war und setzte sich den zweiten an diesem Tag.
Danach legte sie sich zu Sabine vor die Mülltonnen. Eng umschlungen fühlte sie sich in einer von Watte eingehüllten Welt wie im Bauch der Mutter, bevor sie das Licht einer damals noch heilen Welt erblickte.
Anja ließ in diesem Trancezustand die letzten Wochen vor ihrem inneren Auge Revue pasieren.
Sie hatte sich nach der Grillfete nur einen Tag im Schlosspark aufgehalten und war bereits dienstags nach Köln getrampt. Dort hatte sie Sabine kennengelernt und sich direkt gut mit ihr verstanden – vielleicht, weil Sabine ähnliche Probleme mit ihren Eltern hatte. Komisch, dass sie sich nie begegnet waren, denn Sabine hatte früher auch in Koblenz gewohnt und die gleiche Schule besucht. Aber Sabine war ja einige Jahre älter. Sabines Mutter hatte den Vater verlassen und kurz danach war Sabine auch von zu Hause abgehauen und lebte seitdem auf der Straße. Sabine hatte Anja vorgeschwärmt, wie geil dieses Gefühl bei Heroin sei und dass man sich damit alle Sorgen wegdrücken könnte. Irgendwann wollte Anja auch einmal dieses Gefühl erleben. Den Kick, jene
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