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Shit

Shit

Titel: Shit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schmitt-Killian
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Gosse landet.“
    Marco sah das Mädchen irritiert an. Sie sah nicht aus wie eine Fixerin.
    Und als habe sie seine Gedanken erraten, sprach sie weiter: „Wir alle haben geglaubt, dass wir es rechtzeitig merken, wenn es eng wird. Dass wir alles im Griff haben. Und jetzt hat die Droge uns im Griff.“
    Sie sprang auf und riss Marco das zerfledderte Album aus der Hand.
    „Was gaffst du uns so an, Klugscheißer?“, zischte sie wütend und ein verächtlicher Blick bohrte sich in Marcos Augen.
    Und eine Sekunde später lächelte sie ihn an.
    „Niemand wollte abhängig werden, Süßer!“
    „Bist du auch drauf?“, fragte Marco.
    Das Mädchen nickte.
    „Auch wenn ich nicht so aussehe. Noch nicht. Erstens kommt es schneller und zweitens als man denkt. Vielleicht erkennst du mich in zwei Wochen nicht mehr wieder“, flüsterte sie mit einem schwachen Lächeln. „Spätestens, wenn die tierischen Krämpfe deinen Magen zerreißen, wenn eine Gänsehaut nach der andern den Körper überflutet, dann musst du dem Affen Zucker geben.“
    Das Lächeln war wieder verschwunden, als habe sie einen Schalter umgelegt. Die Gefühle des Mädchens verwandelten sich scheinbar innerhalb von Sekunden. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.
    Sie kratzte sich am ganzen Körper.
    „Weißt du, was cold turkey ist?“
    Marco schob die Schultern hoch.
    Ihm fehlten die Worte.
    Das Mädchen kratzte sich jetzt wie verrückt.
    „Du hast eine Gänsehaut wie ein Truthahn“, murmelte sie, „und zitterst mitten im Sommer. Überall juckt es dich. Der Schweiß läuft über deinen Körper und du stinkst wie ein Schwein.“
    Sie wischte sich mit den überlangen Ärmeln ihres schwarzen Pullovers die Schweißperlen von der Stirn.
    Dann legte sie das Buch auf Anjas Knie.
    „Lies deinem Freund doch noch was vor. Wer weiß, wie lange du es noch kannst!“
    Und erneut zuckte Marco zusammen, als er eine hagere Hand auf seinen Schultern spürte. Hinter ihm stand ein junger Mann und drängte sich zwischen Anja und ihn. Er hatte braune Zähne, viele Zahnlücken und sah vermutlich älter aus, als er war.
    „Hey, Anja. Gestern Abend haben die Bullen mein Zimmer durchsucht, nur weil ich ein paar Remes verkauft habe. Die haben mir ein Bild von dir gezeigt und gefragt, ob ich dich kennen würde.“
    „Jonny aus dem Jugendwohnheim“, sagte Anja nur und wandte sich wieder an den Mann. „Und was hast du ihnen erzählt?“
    „Na, was schon? Dass ich dich nicht kenne. Mehr nicht. Echt, ey. Ich wusste doch nicht, dass du wieder hier bist. Ich dachte, du wärst immer noch in Köln auf der Platte.“
    „Scheiße, dann muss ich wieder weg“, schrie Anja, rollte den Schlafsack ein und sprang auf. Sie schwankte. „Hier wird mir der Boden zu heiß. Tschüss Marco, bis irgendwann. Sag bitte keinem, dass du mich gesehen hast.“
    Hektisch packte sie einige Sachen und das Album in ihre Tasche, rollte den Schlafsack zusammen, verknotete ihn mit einer Kordel und taumelte Richtung Hauptbahnhof. Dort würde sie ihre neue Freundin treffen. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, weil diese auch Probleme mit ihrem Vater hatte.

9.
    Trotz der sommerlich heißen Temperaturen zitterte sie am ganzen Körper.
    Das Klappern ihrer Zähne durchbrach die abendliche Stille in dem kleinen Hinterhof.
    Überall roch es penetrant nach Katzenpisse und verfaultem Obst.
    Schweiß überschwemmte ihren Körper.
    Sie presste beide Hände gegen den Magen.
    Die Krämpfe waren kaum auszuhalten.
    Bereits als sie die ersten winzigen Schweißperlen auf der Stirn und die feuchten Hände gespürt hatte, wäre es höchste Zeit für den nächsten Schuss gewesen.
    Noch hatte sie Stoff, aber morgen müsste sie wieder betteln oder eine alte Oma mit einer Handtasche finden, am besten eine ältere Dame, die soeben ihre monatliche Rente bei der Bank abgehoben hatte.
    Sie warf einen Blick in den kleinen Topf auf der Gaskartusche mit der Fixe von gestern Abend, öffnete den Reißverschluß ihrer Jeans, holte sich zitternd die beiden letzten Pacs Heroin aus der Unterhose und schüttete ein Pac in den Löffel.
    Das Pac ist das Wertvollste, was ein Fixer am Körper trägt.
    Man muss den Stoff gut verstecken, damit keiner der anderen Junkies den wertvollen Druck klaut.
    Sie wusste das natürlich.
    Dennoch fiel das zweite Pac neben ihr auf den grauen Asphalt des Hinterhofs.
    Sie konzentrierte sich jetzt auf die Fixerstraßen, jene verräterisch blutunterlaufenen und vereiterten Einstichstellen, die perlschnurartig

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