Shit
Himmel. Das Mädchen paddelt vom Nichtschwimmerbecken in den tiefen Bereich.
Plötzlich entweicht die Luft aus den Schwimmärmchen. Das Kind kann sich nicht mehr über Wasser halten.
Sie streckt die Hände nach dem Mädchen aus.
Die Hände fühlen sich wie ein nasser Fisch an, entgleiten ihr.
Der kleine Körper sinkt in Zeitlupe auf den Boden des Schwimmerbeckens.
Als sie mit letzter Kraft die dünnen Arme des Mädchens mit beiden Händen fest umklammert, hat sie das Gefühl, als habe sich das Mädchen selbst aus dem Haltegriff befreit, so als wolle es nicht von ihr gerettet werden.
Völlig verzweifelt muss sie mit ansehen, wie der Körper langsam versinkt und regungslos auf dem Boden des Schwimmbeckens liegen bleibt.
Sie steht wie versteinert in dem Nichtschwimmerbecken. Lautlos schreit sie um Hilfe.
Die Bilder verblassen und plötzlich steht sie in einem riesigen Glastunnel.
Über ihr schwimmt ein Mädchen zwischen den Fischen.
Ein Hai reißt dem Mädchen einen Arm ab.
Das Blut vermischt sich mit dem Wasser.
„Die Hand, die nach der Mutter schlägt, die wird im Himmel abgesägt“, hatte ihre Mutter immer gedroht, wenn sie als kleines Kind verzweifelt nach ihr geschlagen hatte.
Die Geschichte wiederholt sich.
Mit einem Unterschied: sie selbst hat ihrer Tochter gegenüber diese Drohung niemals ausgesprochen. Endlich ertönen die Sirenen.
Jemand muss das Kind doch vor dem Ertrinken retten ...
Ein schriller Klingelton riss sie aus dem Alptraum.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als Frau Goldhausen erwachte.
Sie blickte irritiert um sich.
Die ersten dünnen Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg zwischen den Spitzen der Tannenhecke hindurch auf das Grundstück. Ihr Blick schweifte in den weiträumigen Garten mit dem alten Baumbestand und wanderte zurück zu der leeren Rotweinflasche auf dem Teppichboden. Davor breitete sich ein dunkler Fleck aus.
Wer klingelte denn so früh am Morgen?
Da musste was Schlimmes passiert sein.
Wer könnte das sein?
Sie griff nach der Rotweinflasche, warf diese in der Küche in den Abfalleimer und rannte weiter zur Haustür. Mit jedem Schritt erhöhte sich der Pulsschlag in ihren Ohren.
Und als sie die Tür öffnete, hätte sie vor Freude jubeln können.
„Mein Kind“, lächelte Frau Goldhausen und wollte ihre Tochter umarmen.
Aber Anja machte eine abwehrende Handbewegung, schob ihre Mutter zur Seite und betrat das Haus.
Anjas Wangen wirkten eingefallen. Das leichenblasse Gesicht wirkte – eingerahmt von den pechschwarzen Haaren – wie eine Totenmaske.
Anja lief die Treppe hoch und schlug die Tür ihres Zimmers zu.
Frau Goldhausen hatte nicht bemerkt, dass hinter Anja ein kleiner Hund mit in die Wohnung getrottet war. Nachdem sie sich von dem ersten Schreck in der Morgenstunde erholt hatte, ging sie die Treppen hinauf und klopfte leise an Anjas Zimmertür.
„Ja-a!“, rief Anja.
„Darf ich reinkommen?“
„Wenn es denn sein muss!“
Frau Goldhausen drückte zaghaft die Klinke nach unten und öffnete langsam die Tür.
Ein kleiner Hund lag neben Anja im Bett lag und leckte das Gesicht ihrer Tochter ab.
„Den hat mir Fred zu meinem Geburtstag geschenkt“, sagte Anja, und bevor ihre Mutter eine Frage stellen konnte, schrie sie: „Ich behalte den Hund!“
„Wer ist Fred?“
„Mein neuer Freund. Willst ihn sicher nicht kennenlernen“, antwortete Anja schnippisch.
„Wo hat der denn den Hund her?“, fragte Frau Goldhausen misstrauisch.
„Den hat er gekauft. Was denn sonst? Und ich werde ihn behalten“, entgegnete Anja in einer Art, die keinen Widerspruch duldete.
Sie wusste nur zu gut, wie froh die Mutter war, dass die Tochter wieder den Weg nach Hause gefunden hatte. Wenn auch nur kurz.
„Wie heißt er denn?“
„Der Er ist eine Sie und heißt Citta.“
Der Hund sieht für einen Straßenköter gepflegt aus, dachte Frau Goldhausen und wollte sich nicht mit ihrer Tochter streiten. Sie war glücklich, dass Anja wieder zu Hause war, egal wie lange, oder besser gesagt wie kurz sie bleiben würde.
„Geh mal warm duschen, Kind. Ich mache uns in der Zwischenzeit ein leckeres Frühstück. Du hast doch bestimmt Hunger“, sagte Frau Goldhausen mit brüchiger Stimme und spürte den schalen Geschmack des Rotweins in ihrem Mund. An den aufgebrochenen Keller dachte sie in diesem Moment nicht.
Nach dem Duschen setzte sich Anja an den Frühstückstisch und demonstrierte, wie der Hund die Kommandos „Sitz!“ und „Platz!“ auf Anhieb
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