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Shit

Shit

Titel: Shit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schmitt-Killian
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lustbetonte Welle, die den ganzen Körper durchströmt. Aber bereits kurze Zeit später traten die ersten Entzugserscheinungen auf: Gib mir Heroin, forderte der Körper.
    Anja dachte auch an Rosa, die vor einigen Wochen die kleine Filiale der Volksbank um die Ecke mit einem Gasrevolver überfallen hatte und jetzt im Knast saß. Die Bullen hatten kurz nach dem Banküberfall den Hinterhof gestürmt. Nach der Personenbeschreibung konnte die Bankräuberin nur eine von den Junkies sein. Und so war es ja auch. Anja hatte immer geglaubt, Frauen seien zu schwach, um einen richtigen Raubüberfall zu begehen. Fixerinnen suchten sich doch eigentlich noch Schwächere aus. Alte und Gebrechliche, denen sie Handtasche entreißen konnten.

10.
    Die Sterne funkelten glasklar am wolkenfreien Himmel. Frau Goldhausen stand wie so oft seit jenem Tag am Fenster und hoffte auf ein Wunder.
    Als Anja nach der Grillparty im Wald nicht nach Hause gekommen war, hatte sie eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Tagelang war sie völlig verzweifelt in der Koblenzer Altstadt, in den abgelegensten Winkeln auf der Schmidtenhöhe und im Stadtwald umhergeirrt, obwohl das Gelände bereits von der Polizei durchsucht worden war.
    Und irgendwann hatte Anja vor der Tür gestanden. Sie war aber nur kurz geblieben: duschen, Wäsche wechseln, satt essen, ausschlafen und Geld schnorren.
    Frau Goldhausen hatte solche Angst gehabt, Anja würde wieder abhauen, dass sie sich alle bislang unausgesprochenen Fragen verkniffen hatte.
    Und trotzdem verschwand Anja.
    So überraschend, wie sie gekommen war.
    Ohne Tschüss zu sagen.
    Frau Goldhausen hatte damals die Vermisstenanzeige wieder zurückgezogen und letzte Woche wieder eine neue erstattet.
    Die Suchaktion von Anjas Klassenkameraden hatte viel Aufsehen in der Stadt erregt.
    Es war ihrem Mann äußerst peinlich gewesen, das Bild seiner Tochter mit dem Aufruf überall in der Stadt plakatiert zu sehen. Das hatte ihn mehr aufgeregt als alles andere.
    Die Ereignisse hatten sich überschlagen:
    der Leistungseinbruch in der Schule,
    der schockierende entdeckte Brief an Melanie,
    die Anzeige bei der Kripo.
    Frau Goldhausen schüttelte ratlos den Kopf.
    Das Kind war ihr total fremd geworden.
    War das noch ihre Tochter, die kleine Anja, an der sie immer so viel Freude gehabt hatte?
    Frau Goldhausen stieg die Kellertreppe hinunter und wollte eine Flasche
Pinot noir
öffnen. Vor der Tür blieb sie erschrocken stehen: Das Schloss zum Weinkeller war aufgebrochen! Keine einzige der Flaschen, die sie bei der letzten Tour ins Elsaß beim Winzer gekauft hatten, war im Weinregal.
    Anja hatte einen guten Geschmack.
    Mit schweren Schritten und einer Flasche
Dornfelder
in der Hand stieg Frau Goldhausen die Kellertreppe hoch. Sie atmete so schwer, als sei sie kurz vor dem Gipfelkreuz eines Dreitausenders angelangt. Erschöpft sank sie in den Wohnzimmersessel. Sie ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit flüchten.
    Irgendwann war Anja für sie ein fremdes Mädchen geworden. Nicht erst ab dem Tag, an dem sie ihre Körperhygiene grob vernachlässigte und in diesen schwarzen Klamotten herumlief, sich die Haare schwarz färbte und Ringe in Ohren, Nase und in die Augenbrauen schießen ließ.
    Die Schnüffelei ihres Mannes und die Anzeige der eigenen Tochter bei der Polizei. Das konnte ja nicht gutgehen. Er hatte weder mit ihr noch mit Anja gesprochen! Ein deutscher Offizier hat immer eine Lösung parat, hatte er herumposaunt und scheinbar gehofft, dass seine Anzeige bei der Polizei alles wieder ins rechte Lot bringen würde. Und sich dabei gewaltig verkalkuliert. Seit jenem Tag wurde alles nur noch schlimmer.
    Frau Goldhausen fühlte sich sehr einsam. Fast alle Freunde hatten den Kontakt abgebrochen, als habe sie eine ansteckende Krankheit.
    Die einzige Person, die ihr zugehört hatte, war damals der Polizist auf der Kriminalwache, der die Vermisstenanzeige aufgenommen hatte. Der Beamte konnte sich in ihre Situation hineinversetzen.
    Wie war noch sein Name?
    Schneider, ja, Schneider hieß er.
    Sie leerte die Flasche Rotwein und schlief auf dem Wohnzimmersessel ein.

    Sie zittert am ganzen Körper.
    Ihre Augen starren auf die weiße Plane.
    Zwei Rettungssanitäter wickeln das tote Mädchen ein, um die Leiche vor den neugierigen Blicken der unzähligen Gaffer zu verbergen.
    Sie hatte sich so auf den Tag im Freibad Oberwerth gefreut.
    Die letzten Minuten laufen wie ein Horrorfilm vor ihrem geistigen Auge ab:
    Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen

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