Shit
kann und hoffe, dass meine schlimmsten Befürchtungen niemals wahr werden, würde er gerne sagen.
Aber die Worte fanden nicht den Weg über seine Lippen.
Die Stimme der Familientherapeutin ertönte in seinen Ohren, als würde sie in diesem Moment direkt neben ihm stehen: „Kinder brauchen unsere Liebe dann am meisten, wenn sie es scheinbar am wenigsten verdient haben: Zuwendung und unsere Zeit.“
Zeit? Wo sollte er die denn hernehmen?
Er hatte nie Zeit.
Im Rauschgift-Kommissariat war immer die Hölle los.
Die Drogenhölle.
„Tom, was ist los?“
Die Frage der jungen Kommissarin riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ja?“
„Ist dir nicht gut?“
„Nur ein bisschen schwindlig. Mein Kreislauf. Ist gleich wieder vorbei!“
„Soll ich einen Arzt rufen?“
„Nein, Quatsch, es geht schon!“
Claudia Schlüter ging zur Tür.
Dann drehte sie sich nochmals um.
„Wirklich nicht?“
„Nei-ein!“, antwortete Tom in einem aggressiven Ton.
„Ist ja schon gut!“
Claudia Müller sah ihn irritiert an.
„Ihr könnt fahren. Ich warte hier auf die Mutter.“
„Ach übrigens! In der Küche haben wir noch einen Riesenschnauzer eingesperrt. Der macht aber nichts. Will nur spielen“, grinste Polizeikommissarin Schlüter.
Sie kannte Toms Angst vor großen Hunden.
„Das sagen sie alle“, erwiderte Tom und hörte erst jetzt das klägliche Winseln des Hundes.
Claudia Schlüter ging zur Küchentür.
„Bist du verrückt?“, schrie Tom und sah vor seinem geistigen Auge schon einen großen Hund auf sich zustürzen, der ihm die Zähne in die Waden rammen und sich festbeißen würde. Und dann rannte dieser kleine Pinscher auf ihn zu, wedelte mit dem Schwanz, sprang an Tom hoch, umklammerte mit den Vorderfüßen seine Oberschenkel und ließ vor Freude ein paar Tropfen auf den Boden fallen.
Claudia Schlüter lächelte und stieg in den Funkstreifenwagen ein.
Tom setzte sich auf die Couch und dachte an den Abend, als er auf der K-Wache die Vermisstenanzeige aufgenommen hatte. Er hatte Frau Goldhausen beruhigt, sie möge den Haschischkonsum ihrer Tochter nicht überbewerten und betont, dass er kein Verständnis dafür habe, wenn ein Vater seine Tochter beim ersten Verdacht bei der Polizei anzeigt. Tom blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Als die Scheinwerfer eines Autos seinen Dienstwagen in der Einfahrt anstrahlten, ging er zur Tür, um Frau Goldhausen nicht zu erschrecken.
„Schneider, Kripo Koblenz, ich...“
Sie erkannte ihn sofort.
„Guten Abend, Herr Schneider. Nett von Ihnen, dass Sie selbst gekommen sind. Haben die Kollegen was in Anjas Zimmer gefunden?“
„Nein. Was haben Sie denn erwartet?“
„Ich weiß es nicht. Eigentlich erwarte ich nichts mehr von diesem Leben“.
Ich auch nicht, dachte Schneider und auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Goldhausen durchsuchten sie nochmals Anjas Zimmer. Der Hund trottete hinter ihnen her. Während Tom an den üblichen Versteckmöglichkeiten nachschaute, zerfetzte der kleine Hund Anjas Briefkiste.
„Citta, aus!“, rief Frau Goldhausen und entriss dem Hund die Kiste. Dabei fiel ein Blatt Papier aus dem Geheimfach auf den Boden. Frau Goldhausen bückte sich. Der Brief war an ihre Tochter adressiert.
Frau Goldhausen las den Brief mit brüchiger Stimme laut vor.
Liebe Anja
,
der Kurier gibt dir 30,- Euro für Heroin. Hol den Stoff bei dem Typ in Köln auf der Platte, wo wir immer gekauft haben und gib das Pac dem Mann, der uns das Zeug in den Knast bringt
.
Beeil dich. So schnell wie möglich
.
Du weißt, wie beschissen es mir hier ohne H geht
.
Rosa
Frau Goldhausen überreichte Tom den Brief mit zitternden Händen. Auf dem Brief war kein Absender vermerkt. Sie suchte vergeblich nach einem Kuvert mit identischer Schrift.
„Bei dem Brief handelt es sich um einen Kassiber“, erklärte Tom. Im gleichen Moment dachte er an den Brief, den er damals in Sabines Wohnung gefunden hatte.
„Ein Kassiber? Was ist das?“, riss Frau Goldhausens Frage Tom aus seinen Gedanken.
„So nennt man Briefe oder Nachrichten, die aus einer Justizvollzugsanstalt herausgeschmuggelt werden.“
„Anja kennt keine Leute im Gefängnis“, entgegnete Frau Goldhausen im Brustton der Überzeugung.
„Scheinbar doch“, murmelte Tom.
„Wieso sollte Anja denn Heroin besorgen, wenn sie es selbst so dringend braucht?“
„Freundschaftsdienst unter Fixerinnen. Ich vermute, dass Anja sich meistens in Köln aufhält, denn ansonsten hätten wir sie hier doch längst
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