Shiva Moon
ist es immer am schönsten, finden Sie nicht?
Der Fluss fließt gelassen dahin, die Brücke ist lang und schmal und bewegt sich ein bisschen im Wind,und mit uns sind Mütter und Magersüchtige (Asketen), Kinder und Kühe, Heilige und Heimatlose, Touristen und Transvestiten unterwegs. Über Letztere wundern sich die Mädchen. «In Indien gibt es eine Menge Transvestiten», sage ich. «Spirituelle und nichtspirituelle. Die spirituellen gehören einer Sekte an, die der Meinung ist, dass sich die menschliche Seele zu Gott grundsätzlich weiblich verhält. Deshalb tragen sie Frauenkleider, schminken sich und machen drei Tage im Monat frei, weil sie ihre Periode haben.» Jane gluckst.
Hinter der Brücke fängt das Handeln an. Ich hasse es, und manchmal lass ich es, aber der Rikschafahrer will neunhundert Rupien für die Fahrt. Das ist absurd. Als ich ihn auf dreihundert runterhabe, schauen mich die beiden Mädchen wie einen Helden an. Zu Unrecht allerdings, hundertfünfzig wäre der korrekte Preis gewesen, denn es ist eine große Rikscha, in die noch mehr Fahrgäste steigen. Während der Fahrt erzähle ich Jaquelina und Jane, was ich über unser Reiseziel weiß. Haridwar hat nicht achtzigtausend Einwohner wie Rishikesh, sondern zweihunderttausend. Und Touristen gibt es so gut wie keine. Obwohl Haridwar viel heiliger als Rishikesh ist. Täglich kommen Tausende aus allen Teilen Indiens, um hier ihre Sünden im Ganges loszuwerden, aber alle zwölf Jahre kommen zehn Millionen. Kumbh Mela. Schon mal gehört? Das größte Fest der Welt.
«Warst du schon mal da?», fragt Jaquelina.
«Aber ja.»
Angeben ist meine Schwäche, ich weiß, aber was soll ich machen, ich war ja wirklich beim letzten Kumbh Mela in Haridwar. Das war vor sieben Jahren,und ich durfte zusehen, wie zwei Sadhu-Orden aufeinander losgingen, weil sie sich nicht einigen konnten, wer zuerst im Ganges rituell baden darf. Echte Sadhus. Durchtrainierte Sadhus, keine Penner. Yoga macht stark, Askese macht hart, und jeder hat den Dreizack von Shiva dabei. Ich erinnere an mein Plakat. Der Gott der Zerstörung hat immer einen Dreizack in der Nähe, so lang wie ein Speer, ein Speer mit drei Zacken halt, der fürchterliche Wunden macht, wenn man ihn nicht symbolisch benutzt. Einer der beiden Orden war die Juna Akhara, und von dem waren viertausend Sadhus am Fluss, weil er in Haridwar sein Hauptquartier hat, den Namen des anderen Ordens weiß ich nicht mehr, der war mit zweitausend Leuten zur Stelle. Sechstausend wild gewordene heilige Männer begannen, sich zu massakrieren. Erst als Berittene dazwischengingen, vertrugen sie sich wieder und holten mit vereinten Kräften die Polizei von den Pferden. «Wann ist das nächste Kumbh Mela?», fragt Jane.
«2010», sage ich.
«Ich werde da sein», sagt Jane.
«Ich auch», sagt Jaquelina.
Freundschaft, ja Verbrüderung in null Komma nix ist unter Reisenden ein Phänomen für sich. Wir kennen uns erst seit, na sagen wir, drei Stunden und planen bereits bis 2010. Es ist also abgemacht. In fünf Jahren zeige ich ihnen das irreste Fest der Welt und heute den Basar. Ich habe ja Töchter. Ich weiß, worauf die stehen.
Der Basar von Haridwar ist groß. Seine Hauptgasse ist über zwei Kilometer lang und hat unzählige Nebenarme.Unzählig ist übertrieben, man könnte sie zählen, aber man kann’s auch lassen. Dasselbe gilt für die Läden. Ich kann sie nur schätzen, nein nicht mal das, ich habe keine Ahnung, wie viele Läden auf diesem Basar alles bieten, was Basare zu bieten haben, alles, und noch was darüber hinaus.
Ich bin Basarexperte. Basare entsprechen der märchenhaften Vorstellung vom Reisen, die ich als Kind hatte. Und glauben Sie mir, man hat es mit Basaren heutzutage schwer. Istanbul? Der hatte seine großen Tage vor hundert Jahren. Inzwischen verströmt er ein bisschen zu viel von der überdachten Glas- und Neonatmosphäre, die man aus unseren Geschäftspassagen kennt. Damaskus? Zu schlechte Stimmung und politisch nicht zu empfehlen. Kairo? Entschuldigen Sie, jetzt muss ich lachen. Der Basar von Kairo ist ein Witz, wenn man den Basar von Marrakesch kennt. Aber selbst dessen magischer Glanz verblasst, seitdem der Massentourismus dort shoppen geht.
Der Basar von Haridwar ist all dies nicht. Er ist ein unberührtes Universum, ich weiß nicht, warum. Oder doch, ich weiß es. Haridwar ist eine stolze Stadt. Sie schert sich einen Dreck um Touristen, die hat sie nicht nötig. Sie hat Pilger. Ein paar tausend jeden
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