Shiva Moon
sauber, aber wenig atmosphärisch, das gab für mich den Ausschlag, denn wenig atmosphärisch heißt in Rishikesh wenig esoterisch. Man darf überall rauchen. Und muss nicht immer lächeln. Ich stelle mir das Gegenteil recht scheußlich vor. Lächelzwang auf Nikotinentzug. Nee, das «Green Hotel» ist okay, und ich habe das Glück (wahrscheinlich weil ich im letzten Leben netter zu Bettlern gewesen bin), eines der schönsten Zimmer zu bekommen.
Es ist groß und hat ein großes Bett und ein großes Fenster mit Blick auf den Garten eines anliegenden Ashrams. Das Beste an dem Zimmer aber ist die Dachterrasse. Man stellt einen Stuhl vor die Tür und schaut in die Berge, die hier und da in Wolken verschwinden, hyperaktive Affen balancieren auf dem Terrassengeländer,und dann ist wieder mal alles klar mit Indien und der Reiserei im Allgemeinen, dann weiß man wieder, dass man nicht für den Schrebergarten geboren ist. Trotzdem bleibt die Frage, was nach den Eindrücken des ersten Tages in Rishikesh von alldem eigentlich zu halten ist. Liegt’s an mir oder an der Stadt? Habe ich mich verändert, oder geht hier wirklich nichts mehr ab? Wahrscheinlich stimmt beides, denke ich. Ja, wahrscheinlich.
Und während ich so bei einem guten Fläschchen Mineralwasser über Wahrscheinlichkeiten nachdenke, quartieren sich in einem Zimmer auf der anderen Seite der Dachterrasse neue Gäste ein. Sie machen es wie ich. Kaum haben sie das Zimmer bezogen, setzen sie sich vor die Tür und genießen die letzten Strahlen der Nachmittagssonne. Das eine Mädchen ist eine Orientalin und kommt «wahrscheinlich» aus Marokko. Sie hat das schönste Gesicht, das ich je gesehen habe. Das andere Mädchen dampft vor Sex. Zum Glück beinhaltet mein Fastentag auch das eintägige Zölibat, sonst müsste ich wieder wütend darüber werden, dass ich schüchtern bin. Außerdem sind sie entschieden zu jung für mich. Meine Töchter sind älter als sie (wahrscheinlich). Ich winke also nur lächelnd zu ihnen rüber, und sie winken lächelnd zurück, und das war’s. Für diesen Tag.
Der nächste beginnt sehr früh, weil ich noch immer Schlafstörungen habe und außerdem immer früh erwache nach dem Fasten. Das ist es, was ich am Fasten am meisten liebe. Aufzuwachen und zu wissen, dass man wieder essen darf. Das Hotelrestaurant hat nochgeschlossen, aber ich weiß, dass sie in den kleinen Chai-Shops da draußen bereits die Feuer unter den Kesseln entfachen. Ich finde einen ganz in der Nähe des Internetshop und werfe auf dem Weg dorthin einen Blick auf den Ganges. Er glitzert in der Morgensonne. Vor dem Chai-Shop steht ein Sadhu. Er macht keine Anstalten hineinzugehen, er redet auch nicht mit dem Besitzer, der am Eingang sitzt. Der Sadhu steht einfach nur bewegungslos da und starrt auf den dampfenden Kessel. Ich gebe ihm einen Tee und einen Reiskuchen aus, für mich bestelle ich Milchkaffee und Banana Porridge. Der Chai-Shop-Mann legt noch eine Zeitung dazu. Indien ist zeitungssüchtig. Jeder liest, soviel er kriegen kann. Auch die Sadhus. Auch die Bettler.
Die Schlagzeilen der «Hindustan Times» schreien ihre Empörung über ein Bombenattentat in New Delhi hinaus. Gestern Abend sind im Bahnhofsviertel vier Pakete mit Bomben hochgegangen. Drei waren in Motorrikschas versteckt, eine in einem öffentlichen Bus. Wissen Sie, wie viele Menschen zu dieser Zeit im Bahnhofsviertel von New Delhi sind? Und wie überfüllt da jeder Bus ist? Sechzig Tote, Hunderte Verletzte, und Delhi hat einen neuen Helden. Den Busfahrer. Er hat das Paket gesehen, und es ist ihm nicht koscher vorgekommen. In einer wenig belebten Nebenstraße ließ er die Fahrgäste aussteigen, und als sie sich weit genug entfernt hatten, warf er das Paket aus dem Fenster. Dabei ist es explodiert. Der Fahrer wird derzeit operiert. Die Ärzte wissen noch nicht, ob er jemals wieder sehen kann. Die Attentäter sind Kaschmir-Separatisten. Sämtliche Polizisten in New Delhi und die Armee fahnden nach ihnen. Das sind schlimme Nachrichten,aber es gibt auch gute. Auf Seite drei jubelt die «Hindustan Times», weil in dem nächsten James Bond ein Bollywoodstar die Rolle des Superbösen bekommen hat. Der Schauspieler sagt, das sei eine große Ehre für den indischen Film, ja eine große Ehre für Indien. Ich finde das ein wenig übertrieben.
Die beiden Mädchen treffe ich beim zweiten Frühstück wieder. Ich war bereits im Internetshop, und ihm gegenüber liegt das beliebteste Restaurant der Gasse, weil es den
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