Shiva Moon
Tag, und alle zwölf Jahre kommen die zehn Millionen. Das bringt Geld. Dazu ist Haridwar DAS Zentrum der ayurvedischen Medizin weltweit. Das bringt auch Geld. Folge: eine selbstbewusste Stadt, eine entspannte Atmosphäre. Auf dem Basar von Haridwar wird nicht für Touristen sauber gemacht, da gammelt Hardcore-Indien am Wegesrand, trotzdem stinkt es nirgendwo, wegen der Berge von Gewürzen, der Wälder von Räucherstäbchen und der Weihrauchnebel, hinzu kommt der Duft der Parfüms, die unter den Saris schwitzen, na, was sag ich, wir kennen das. Was wir nicht kennen, ist die Vielzahl der Gebrauchsgegenstände, die der Annäherung an das Übersinnliche dienen. Was Yogis an Minimalausrüstung brauchen (Bettelschalen, Gebetsketten, Meditationshilfen), dafür gibt es ganze Gassen. Ich sehe Asketen mit ihren Gurus in Tuchläden sitzen, und es rührt mich, wie sie die Qualität der Mönchsroben prüfen. Auf ihre finanziellen Verhältnisse umgerechnet, kaufen sie sich einen neuen Mercedes.
Jaquelina sieht hauptsächlich Geschäfte, die heilende Steine verkaufen, Jane sieht nach gar nichts oder nach allem auf einmal. Sie scheint ständig nur zu finden. Sie wandelt wie in Trance über den Basar. Vor dem Stand eines Obsthändlers machen wir Pause, während Jaquelina gegenüber Kristalle checkt. Wir setzen uns auf zwei Obstkisten, und ich schäle zwei Äpfel. Ich sehe die Chance, aber ich spüre auch die Gefahr. Mit Jane weiter durch Indien zu reisen würde bedeuten, an ihren Wahrnehmungen teilzuhaben, und mit ihren Augen zu sehen würde bedeuten, alles wieder wie beim ersten Mal zu betrachten. Das ist die Chance. Und die Gefahr? Nun ja, man nennt es das Sugar-Daddy-Syndrom. In Indien kann man auch Sugar-Baba sagen.
Ich werfe die Apfelschalen einer Kleinfamilie heiliger Kühe zu, die sich in der Mitte der Gasse gruppiert hat. Ein Bettler unterbricht mich dabei. Übrigens zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Der Basar ist knallvoll mit Menschen in allen Farben und Größen, nur Touristen und Bettler gibt’s kaum. Und das ist unbedingtim Zusammenhang zu sehen. Touristen und Bettler sind wie Zapfsäulen und leere Benzinkanister. Ich fische in meiner Hosentasche nach ein paar Münzen, Jane will ihm ihren Apfel geben. Der Bettler schreckt zurück, als hätte er eine Kobra gesehen. «Das darfst du nicht machen», sage ich. «Er ist ein Bettler, aber er ist auch ein Hindu. Für ihn ist der Apfel verunreinigt, weil du schon reingebissen hast.»
Jane steht auf und kauft einen frischen Apfel, den sie dem Bettler gibt. Ich kann fast spüren, wie der Obsthändler sie dafür in sein Herz schließt. Ab sofort behandelt er uns wie Gäste. Wie soll man das erklären? Seine Gastfreundschaft offenbart sich nicht in irgendwelchen Aktivitäten, und er redet auch nicht mit uns. Er sitzt wie vorher in dem Fenster seines kleinen Ladens und verkauft Äpfel, aber plötzlich ist da ein Schutzschild über uns. Er ist absolut unsichtbar, doch er funktioniert. Nicht nur, dass uns niemand mehr anmacht, nicht mal ein Hund, der unsichtbare Schutzschild des Obsthändlers sorgt sogar dafür, dass niemand mehr auf uns reagiert. Auf uns als Touristen, auf uns als Fremde, auf uns als Attraktion. Niemand stiert uns mehr an oder zeigt lachend mit dem Finger auf uns, was sonst oft die Kinder tun. Wir gehören dazu. Der Basar hat uns akzeptiert. Himmel, wie ich das liebe, auf den Fluss der Menschen zu schauen, an dessen Ufer wir auf Holzkisten sitzen.
8. Jesus, Hannibal, Gaddafi und ich
Zurück in Rishikesh, liege ich auf meinem Bett. Ich brauche nichts zu tun. Nicht mal entspannen. Jaquelina macht alles. Derzeit ist sie damit beschäftigt, auf dem Tisch die KERZEN zu gruppieren. Plus ein paar Kristalle. Jane hat sich neben das Bett gesetzt und lächelt. Ich denke mir, während die Vorbereitungen ihren Lauf nehmen, meinen Teil. Meine Einstellung zu Geistheilungen ist folgende: Wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt und bitte ihn, mir etwas zu geben, das wirkt. Gott schütze mich vor den Heilpraktikern. Haben sie im Dreißigjährigen Krieg die Pest gestoppt? Oder die Syphilis? Ich baue auf Chemie. Was ich damit sagen will, ist vielleicht noch nicht ganz klar. Also nochmal. Wenn einer kein Haschisch mag, dann mag er auch kein LSD. Wenn einer nicht an Ayurveda und Bachblütentherapie glaubt, warum soll er dann Geistheiler konsultieren? Ich hoffe, Sie erwarten keine Antwort von mir.
«Okay», sagt Jaquelina, «fangen wir mal an.»
Sie stellt sich vor das Bett,
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