Shoal 01 - Lichtkrieg
erzählte es mir jedenfalls dieser alte Narr, ehe er sich freiwillig zu Tintenfischfutter machte.«
»Ich verstehe. Und was für ein Geheimnis könnte das gewesen sein?«
»Offensichtlich irgendein ausgemachter Blödsinn. Aber ich wollte Sie danach fragen, denn immerhin waren Sie mit dem alten Rigor – äh – viele Jahrhunderte lang eng befreundet. Er behauptete, er wüsste den wahren Grund, weshalb wir vor unserer Sonne geflüchtet seien. Was er von sich gab, war … verblüffend. Aber wenn man solche Geschichten glauben würde, zöge das eine Flut von Fragen nach sich, nicht wahr?«
Der Händler stellte sich dumm. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, General. Von welchem Geheimnis ist hier die Rede? Und welche Art von Fragen erwarten Sie?«
»Offiziell heißt es, man hätte sich dazu entschlossen, unsere Welt aus dem ursprünglichen Heimatsystem zu entfernen, weil unser Zentralgestirn Instabilitäten aufwies, die sehr wahrscheinlich zu extrem zerstörerischen Protuberanzen fuhren könnten. Korrekt?«
»Das ist doch nichts Neues, General.«
»Aus diesem Grund«, fuhr der Leichenfresser munter fort, »reisen wir seit Jahrtausenden durch die ewige Finsternis des Weltraums, das heißt, wir kriechen mit Unterlichtgeschwindigkeit dahin. Dabei gibt es massenhaft bewohnbare und stabile Sternsysteme, in deren Richtung wir unsere Welt längst hätten lenken können. Trotzdem haben wir es nicht getan. Und wieso nicht?«
»General …«
Der General ignorierte den Einwurf des Händlers und ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Anstatt uns für eine neue Heimat zu entscheiden, setzen wir bis in alle Ewigkeit diese fantastische Reise fort, auf der Suche nach irgendeinem imaginären Ziel. Und wir wiegen uns in der Sicherheit, dass keines der zehn Milliarden Shoal-Mitglieder, die gegenwärtig unsere Welt bewohnen, auf den Gedanken kommt, diese Geschichte anzuzweifeln, die schlimmer stinkt als ein Eimer voller Fischdärme am sonnigsten Tag des Jahres. Welche Erklärung gäbe es sonst dafür, dass die Mutterstern-Gruppierung so viel Rückendeckung für ihre Idee bekommt, einfach einen geeigneten Stern zu finden und unsere Welt dorthin zu bewegen! Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, warum wir nicht einfach den größten Transluminal-Antrieb der Galaxis konstruieren und mit diesem verdammten Dreckklumpen in null Komma nichts zu irgendeinem völlig kompatiblen Stern fliegen? Oh, es drängen sich einem jede Menge Fragen auf, mein guter Händler. Und dennoch schien sich der alte Rigor erstaunlich sicher zu sein, er wüsste all die richtigen Antworten.«
»General, Rigor glaubte an so manches, aber seit man ihn zwang, in den Ruhestand zu gehen, verwirrte sich sein Geist zunehmend. Bestimmt erinnern Sie sich daran, dass er während irgendeines Konflikts in einer äußerst rückständigen Zone gefangengenommen wurde und um ein Haar verspeist worden wäre.«
»Wie dem auch sei, alles, was Rigor mir erzählte, ergab einen Sinn. Es klang völlig plausibel. Und hören Sie auf, den Ahnungslosen zu mimen, Händler. Während seiner Beichte tauchte Ihr Name oft genug auf.«
Der Händler seufzte innerlich und bereitete sich in Gedanken darauf vor, General Leichenfresser bei der erstbesten Gelegenheit zu ermorden. Vorläufig musste er sich jedoch dessen idiotisches, ketzerisches Geschwätz noch ein Weilchen länger anhören, bis die Priester-Genetiker ihnen so nahe gerückt waren, dass der Händler ihnen das vereinbarte Signal geben konnte.
Derweil polterte der Leichenfresser weiter: »Faszinierend, was Rigor da von sich gab, vor allen Dingen seine Vermutung, dass unsere Transluminal-Technologie gar nicht von uns entwickelt wurde, sondern dass wir sie von einer anderen Spezies gestohlen haben!«
»General, wollen Sie wirklich dazu beitragen, dass die Shoal-Hegemonie nach einer halben Million Jahren zusammenbricht? Ist es das, was Sie anstreben? Wären Sie auch noch stolz darauf, die Geheimnisse eines vertrockneten, alten Narren weiterzugeben? Das Bekenntnis eines Lebensmüden, der nicht mehr die Kraft besaß, auszuharren und zu erleben, welchen Schaden er vor seinem Tod angerichtet hat?«
»Selbstverständlich nicht! Die Zeiten, als wir noch in den Anfängen des interstellaren Reisens steckten, sind längst vorbei und so gut wie vergessen. Und soweit wir wissen, sind die wenigen noch existierenden Aufzeichnungen äußerst ungenau und lückenhaft. Aber darüber hinaus hatte Rigor noch mehr mitzuteilen. Er sagte, die
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