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Shogun

Shogun

Titel: Shogun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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vergessen, brauchte man ihn unentwegt. Das ist eins von den Dingen, die einen am Leben halten, wenn die anderen sterben.
    Er raffte sich hoch und verrichtete seine Notdurft ins Speigatt. Später lief der Sand im Stundenglas beim Kompaßhäuschen aus, und er drehte es um und schlug die Glasen.
    »Kannst du noch wach bleiben, Hendrik?«
    »Ja. Ja, ich glaub' schon.«
    »Ich werde jemand raufschicken, der den Ausguck am Vordersteven ablöst. Paß auf, daß er im Wind steht und nicht in Lee. Das hält ihn wenigstens wach, und seine Sinne bleiben geschärft.« Einen Augenblick überlegte er, ob er das Schiff nicht in den Wind drehen und für die Nacht treiben lassen sollte, doch dann entschied er dagegen, stieg den Niedergang hinunter und machte die Tür zur Back auf. Der Niedergang führte hinab ins Mannschaftslogis. Die Kammer ging über die gesamte Breite des Schiffes und bot Platz für Kojen und Hängematten von einhundertundzwanzig Mann. Wärme umfloß ihn, und er war dankbar dafür und nahm den ständig vorhandenen beißenden Gestank aus den Bilgen unten einfach nicht wahr. Keiner von den rund zwanzig Männern kam aus seiner Koje heraus.
    »Geh an Deck, Maetsukker«, sagte er auf holländisch, der Lingua franca der Niederlande, die er neben Portugiesisch, Spanisch und Latein vollkommen beherrschte.
    »Ich bin am Sterben«, sagte der kleine Mann mit den scharfgeschnittenen Zügen und drückte sich tiefer in die Koje hinein. »Mir ist übel. Seht, der Skorbut hat mir die ganzen Zähne genommen. Herr Jesus Christ, hilf uns, wir werden alle zugrunde gehen! Wenn Ihr nicht wäret, säßen wir jetzt alle daheim, gesund und munter. Ich bin Kaufmann, kein Seemann. Ich gehöre nicht zur Mannschaft … Nehmt einen anderen. Johann dort ist …« Er schrie auf, als Blackthorne ihn mit einem Ruck aus der Koje herausriß und gegen die Tür schleuderte. Blut rann ihm aus dem Mund, und er war wie benommen. Ein brutaler Tritt in die Seite ließ ihn aus seiner Benommenheit wieder erwachen.
    »Schaff jetzt deine Visage an Deck und bleib dort, bis du tot umfällst oder wir Land sichten.«
    Der Mann riß die Tür auf und floh in panischer Angst.
    Blackthorne blickte die anderen an – sie starrten zurück.
    »Wie fühlst du dich, Johann?«
    »Ganz gut, Pilot. Vielleicht bleib' ich doch am Leben!«
    Johann Vinck war dreiundvierzig, Oberkanonier und Bootsmannsmaat, der älteste an Bord. Er hatte weder Haare noch Zähne mehr, war von der Farbe abgelagerten Eichenholzes und ebenso stark. Vor sechs Jahren hatte er zusammen mit Blackthorne an der Suche nach der Nordostpassage teilgenommen, und beide Männer wußten voneinander, was dem anderen zuzumuten war und was nicht. »In deinem Alter sind die meisten Menschen bereits tot, folglich bist du uns allen ein Stück voraus.« Blackthorne war erst sechsunddreißig.
    Vinck setzte ein freudloses Grinsen auf. »Das macht der Brandy, Pilot, der und das Nocken und das heiligmäßige Leben, das ich geführt hab'.«
    Keiner lachte. Dann wies jemand auf eine bestimmte Koje. »Pilot, der Bootsmann ist tot.«
    »Dann bringt die Leiche an Deck! Wascht sie und schließt ihm die Augen! Du, du und du!«
    Diesmal waren die Männer im Handumdrehen aus ihrer Koje heraus, und mit vereinten Kräften schleiften sie die Leiche aus dem Mannschaftslogis heraus. »Du übernimmst die Morgenwache, Vinck. Und Ginsel, du den Ausguck.«
    »Aye, aye, Sir!«
    Blackthorne kehrte an Deck zurück.
    Er sah, daß Hendrik noch nicht eingeschlafen und das Schiff in Ordnung war. Der abgelöste Ausguck, Salamon, torkelte mehr tot als lebendig an ihm vorüber, die Augen aufgedunsen und gerötet vom schneidenden Wind. Blackthorne ging hinüber zu der anderen Tür und stieg nach unten. Der Gang führte in die große Achterkabine, die das Quartier des Generalkapitäns sowie die Vorratskammern beherbergte. Seine eigene Kammer lag an Steuerbord, und die andere, an Backbord, bildete für gewöhnlich die Unterkunft der drei Steuerleute. Jetzt teilten sie Baccus van Nekk, der oberste der Kaufleute, Hendrik, der Dritte Steuermann, und Croocq, der Schiffsjunge. Alle drei waren sterbenskrank.
    Er trat in die große Kabine. Der Generalkapitän, Paulus Spillbergen, lag halb bewußtlos in seiner Koje. Er war ein gedrungener Mann in den besten Jahren, normalerweise sehr fett, jetzt jedoch ausgemergelt, so daß die Hautfalten seines Wanstes schlaff in Falten herunterhingen. Blackthorne holte aus einem Geheimfach einen Deckelkrug mit Wasser und half

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