Shon'jir – die sterbende Sonne
es ihm weg, schlang es sich um die eigene Schulter.
* * *
Es war für den Mri keine harte Arbeit, denn das Land war relativ flach, und die Metallkufen glitten leicht über den pulverigen roten Sand hinweg. Die Kälte, die in der Dämmerung ihren Atem hatte gefrieren lassen, ließ immer mehr nach, bis am mittleren Vormittag Niun und Melein ihre Extragewänder ablegten und mit sichtlichem Behagen weitergingen.
Während einer Ruhepause erschien eines der Dusei am Horizont, stand dort für einen Moment, und das andere gesellte sich zu ihm. Immer wieder tauchten die Tiere auf und verschwanden ebenso schnell wieder. Während dieser letzten Abwesenheit waren sie schon seit einer Weile verschwunden. Duncan wünschte sich seines zurück, war um es besorgt und über sein irrationales Verhalten bekümmert, aber es kam nur den halben Weg und blieb dann stehen. Es sah anders aus, so daß er es nicht erkannt hätte, wä- ren mehr als nur zwei auf ganz Kutath vorhanden gewesen und das größere nicht weiter hinten auf dem Kamm des Abhangs. Beide sahen anders aus.
Magerer. Die Wohlgenährtheit war über Nacht verschwunden.
Das Dus warf sich plötzlich wieder herum und gesellte sich zu seinem Gefährten auf dem Kamm. Beide verschwanden hinter dieser niedrigen Bodenwelle. Beim Weitergehen hielt Duncan den Blick dorthin gerichtet, um sie wieder auftauchen zu sehen, und er blinzelte, denn es schien unmöglich zu sein, daß etwas so Großes in einem so flachen Land so leicht verschwinden konnte.
»Was ist mit ihnen los?« fragte er Niun. Der Mri zuckte die Achseln und ging wieder hinter Melein her, was nach Duncans Vermutung bedeutete, daß er es nicht wußte.
Und wenig später, als ihr Weg sie in die Nähe einiger der blaugrünen Stengel führte, schnitt Niun ein Stück davon mit dem Av'tlen ab und sah, wie die Pflanzenwunde sich mit Wasser füllte.
»Ich würde das nicht probieren«, meinte Duncan unbehaglich.
Aber der Mri nahm wenig, sehr wenig davon in den Mund und spie es einen Moment später wieder aus. »Nicht so schlecht«, meinte er. »Süß. Vielleicht ist das Fruchtfleisch genießbar. Wir werden sehen, ob ich davon krank werde. Die Dusei waren nicht der Meinung.«
Es war ihm immer noch ein Geheimnis, wie es zwischen Dus und Mann eine Kommunikation von so deutlicher Natur geben konnte. Aber Duncan erinnerte sich an das Gefühl, das sie bei der ersten Entdeckung der Pflanzen gehabt hatten: intensives Behagen.
Niun wurde nicht krank. Nach Mittag probierte er noch etwas mehr, und verkündete am Abend, daß es akzeptabel sei. Duncan versuchte es, und es war süß und wie gezuckertes Obst, angenehm und kalt. Als letzte nahm Melein etwas davon zu sich, nachdem das Lager aufgeschlagen und es klar geworden war, daß weder Mri noch Mensch daran Schaden gelitten hatten.
Die Sonne glitt zum Rand des Abgrunds hinab und zerteilte sich in Streifen, verweilte für einen letzten Augenblick. Inmitten des Dunstes tauchte die Stadt wieder auf.
Sie war groß und ruhte fest auf dem Erdboden und war keine fließende Illusion. Die Türme zeichneten sich deutlich im Licht ab, bevor es verschwand.
»Es steht im Pan'en geschrieben«, sagte Melein sanft, »daß es eine Stadt der Türme gab – An-ehon mit den gelben Türmen. Auch andere Städte sind dort genannt: Zohain, Tho'e'i-shai und Le'a'haen. Das Meer war Sha'it und auch die Ebenen hatten ihre Namen.«
Da waren der Wind und das Flüstern der strömenden Sandkörner. Das war alles, was sich außer ihnen bewegte, die sie als Fremde kamen, und einer von ihnen als wahrhaft Fremder.
Aber Melein nannte ihnen die Namen, und Kutath erlangte um sie herum Substanz, so schrecklich es in seiner Verlassenheit auch war. Niun und Melein sprachen miteinander und lachten irgendwie in all dieser Stille, aber die Stille drang bis auf die Knochen und raubte den Atem, und Duncan konnte sich für einen Moment kaum bewegen, bis Niun sein Handgelenk packte und ihm eine Frage stellte, die zu wiederholen er den Mri verlegen bitten mußte.
»Duncan?« fragte Niun daraufhin, spürte die Bestürzung in ihm.
»Es ist nichts«, sagte Duncan und wünschte sich nutzlos das Dus zurück. Er starrte an den Mri vorbei in den sich verdunkelnden Abgrund eines sterbenden Meeres und wunderte sich darüber, daß sie an einem solchen Ort lachen konnten.
Und daß Melein in ihrem Geist die ungeheuren Wasser sah, die in dieser Leere geschwappt und gewogt hatten: das ließ ihm mehr als alles andere erneut gewahr werden,
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