Shon'jir – die sterbende Sonne
Mahlzeit ein. Die Dusei tauchten nicht auf, obwohl sie geglaubt hatten, daß der Duft des Essens sie anlocken würde. Niun sah sich während der Rast oft um, blickte ebenso wie Duncan auf ihrer Spur zurück und sorge sich um die fehlenden Tiere.
»Sie stammen von einer Welt, die nicht weniger rauh ist«, meinte Niun schließlich, »und wahrscheinlich schweifen sie auf der Suche nach ihrer eigenen Mahlzeit umher.«
Aber er machte ein finsteres Gesicht und beobachtete immer noch den Horizont.
Und ein seltsames Phänomen trat auf, als die Sonne schwächer wurde. Durch den schwachen Dunst in der Luft erhoben sich Berge ins Blickfeld, die vorher nicht sichtbar gewesen waren, und das Land wuchs und dehnte sich vor ihnen aus, schuf sich neue Grenzen, als die Sonne hinter die Hügel sank.
An den Ufern des sterbenden Meeres erhoben sich Türme und schlanke Spitzen, nur eine Nuance dunkler als der rotgelbe Himmel.
»Ah!« hauchte Melein und stand auf, und auch die beiden Männer erhoben sich und blickten zum Horizont, auf die wundersame Stadt, die vor ihnen hing. Sie war nur für wenige Momente klar erkennbar und schwand dann im Schatten, als der Rand Na'i'ins unter den Horizont glitt und die Dunkelheit brachte.
»Das war sicherlich, was die Instrumente aufgespürt haben«, meinte Duncan.
»Etwas ist dort lebendig.«
»Vielleicht«, sagte Niun. Sicher verlangte ihn danach, es zu glauben, aber er ließ sich weder Hoffnung noch Furcht anmerken. Zu allererst akzeptierte er das Schlimmste – das hatte er immer getan. Dieses Verhalten schien die Mri geistig gesund zu erhalten durch eine Geschichte hindurch, die außer Zerstö- rung wenig enthielt.
Melein setzte sich wieder auf ihre Matte, schloß die Arme um die Knie und sagte überhaupt nichts.
»Es könnte sehr weit weg sein«, meinte Duncan.
»Wenn es die Quelle von dem ist, was du entdeckt hast?« fragte Niun.
Duncan zuckte die Achseln. »Vielleicht ein Tagesmarsch weit.«
Niun runzelte die Stirn und senkte den Mez etwas, um den größten Teil seines Gesichtes freizulegen. »Sag mir die Wahrheit: Schaffst du einen solchen Weg?«
Duncan nickte auf Mri-Art. »Die Luft ist dünn, aber nicht zu dünn für mich. Die Kälte macht mir am ehesten zu schaffen.«
»Wickle dich ein! Ich denke, daß wir über die Nacht hier bleiben.«
»Niun, ich werde keine Last für dich sein.«
Niun dachte darüber nach und nickte dann. »Mri sind keine Lastenträger«, sagte er. Duncan hielt es für Kel-Humor – und die exakte Wahrheit. Er grinste, und Niun tat es ebenfalls, eine plötzliche und überraschende Geste, die schnell verging.
Die Schleier wurden wieder angebracht. Duncan legte sich in eine Wärmedecke gewickelt zum Schlafen nieder und empfand mehr Frieden im Herzen, als – wie er wußte – unter solchen Umständen rational war. In der kalten Luft gaben Decke und Gewänder zusammen herrlich viel Behaglichkeit und Wärme. Über ihm bildeten seltsam wenige Sterne am klaren Himmel unvertraute Muster. Er erfand eigene: ein Dreieck, eine Schlange und ein Mann mit einem großen Dus an den Fersen. Die Anstrengung erschöpfte sein schwindendes Bewußtsein, und er schlief ein. Er erwachte wieder, als Niun ihn an den Schultern schüttelte und davon unterrichtete, daß er mit dem Wachehalten an der Reihe war. Die Dusei waren noch nicht zurückgekommen.
Er saß für den Rest der Nacht in Wärme eingewikkelt und blickte zum Horizont, der seltsam wirkte durch das Wachsen von Stengeln auf dem die Ebenen beherrschenden Kamm, beobachtete in Einsamkeit, wie Na'i'in über ihrer Spur aufging, ein Anblick von herzerfüllender Schönheit.
Das war mehr als ein fairer Handel, dachte er.
Als das Licht zunahm, regten sich die Mri; sie nahmen ein Morgenmahl ein, waren bedächtig in ihren Vorbereitungen und zufrieden damit, wenig zu sagen und sich oft umzuschauen.
Und mit dem auffrischenden Wind kam ein seltsamer ferner Ton, der sie in ihren augenblicklichen Haltungen erstarren und zuhören ließ; und dann lachten Niun und Melein laut und erleichtert.
Die Dusei waren in der Nähe auf der Jagd.
Sie packten und beluden den Schlitten. Duncan zog ihn. Niun, Kel'anth, Ältester des Kel, konnte eine solche Arbeit nicht übernehmen, solange es noch jemand anderen dafür gab. Dies war seit langem die Ordnung der Dinge, und Duncan akzeptierte sie, ohne Fragen zu stellen. Aber der Mri beobachtete ihn, und als sie sich der ersten Erhebung näherten, legte Niun schweigend die Hand auf das Seil und nahm
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