Shooting Stars (German Edition)
Suche mir ein kleines, gemütliches Hotel. Gehe in die Sushibar, in der wir uns regelmäßig getroffen haben. Nein. Es war nicht regelmäßig. Es war sehr selten, dass wir uns getroffen haben. Sarah und ich. Jedes Mal zauberten mir diese Begegnungen mit Sarah eine Vorstellung von Glück. Nein. Es war keine Vorstellung von Glück. Ich war tatsächlich glücklich, denke ich. Für ein paar Stunden bloß. Für ein Wochenende, das ich gemeinsam mit Sarah verbracht habe, bevor ich wieder zurück musste. Bevor ich zurück wollte in eine Welt, deren Türen ich für Sarah sorgfältig verschlossen hielt, genauso sorgfältig, wie ich die Türen meiner afghanischen oder irakischen Welt für Marian und die Kinder immer verschlossen gehalten habe.
Er macht es klar. Hat sich mit einer Schar ernster Beamter im Rücken und mit dem aktuellen Präsidenten neben sich vor die Kameras gestellt. Er kämpft mit den Tränen. Und ich frage mich, ob es Tränen der Trauer oder der Wut sind, die er gerade noch zurückhalten kann. Ob sich beide Gefühle in ihm vermischen, während er mit Vergeltung droht. Er wird
nicht eher ruhen
, sagt er, als bis er
sie hinter Schloss und Riegel sperren
werde.
Als ob er selbst sich auf die Suche machen würde, denke ich. Und nicht mit Hilfe der Regierenden den Geheimdienst von der Leine lassen. Die Spürhunde Frankreichs, die auf der ganzen Welt einsatzbereit sind. Und die es wahrscheinlich nicht viel Zeit kosten wird, die Täter zu finden. Und diese, falls sie nicht vor Gericht zu stellen sind, weil man ihnen auf offiziellem Weg, also durch legitim beschaffte Beweise nichts nachweisen kann, über die Klinge springen zu lassen. Um nur eine Möglichkeit zu denken, wie man die Terroristen erledigen kann. Die Terroristen, von denen im Moment noch niemand die ideologische Ausrichtung, geschweige denn die Namen kennt. Und im Grunde, denke ich, weiß man auch in Frankreich nicht, ob es ein Einzeltäter war oder mehrere. Aber auch heute, auch in Frankreich gehen sie davon aus, dass es viele sind. Sie machen aus einer Bedrohung, die vielleicht nur von einem einzelnen ausgeht, die Bedrohung durch eine Gruppe. Sie lassen sich von der eigenen Angst und von den Bildern lenken, die sie schon so oft zur scheinbaren Wirklichkeit haben werden lassen.
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Als ob die Welt nichts von Brejvik und all den anderen Einzeltätern gelernt hätte. Als ob nicht auch ein Mensch alleine es schaffen könnte, eine ganze Nation ins Taumeln zu bringen. Denke ich. Während ich wieder einmal in einem Hotelzimmer sitze und mit meiner Zeit, wie schon so oft, nichts Besseres anzufangen weiß als fernzusehen. Aber immerhin, denke ich, bin ich es heute. Nein, es bin nicht nur ich. Aber ich bin es auch, der beeinflusst hat, was die Nachrichtensprecher und Kommentatoren im Fernsehen heute zu sagen haben.
Es ist elend. Hier zu sein und mich zu verstecken. Ich habe es nicht nötig, mich vor ihnen zu verstecken. Und trotzdem ist meine Zurückgezogenheit eine Erniedrigung. Sie, die Polizei, die Geheimdienste, oder wer auch immer, sind nicht auf meiner Spur. Und ich fühle mich dennoch von ihnen gejagt. Ich weiß, dass sie nicht konkret nach mir suchen. Sie fahnden bloß nach einem Gespenst, das hinter den Anschlägen in Deutschland steckt. Und sie können nicht, ich bin mir sicher, dass sie keine Möglichkeit haben, auch nur zu glauben, dass ich derjenige sein könnte, der die Sache ins Rollen gebracht hat. Und der schon bald weitermachen wird.
Nein, ich verstecke mich nicht vor ihnen. Und doch verstecke ich mich vor ihnen. Weil ich mich nicht bei meinen Freunden und Bekannten melde, die ich hier habe. Nicht unbedingt in Köln, aber auch in Köln. Ich schneide mich aus meiner sozialen Umgebung heraus, um nicht das geringste Risiko einzugehen. Keiner von ihnen darf wissen, dass ich hier bin. Also verkrieche ich mich in Hotelzimmern wie diesem. Versuche mich unsichtbar zu machen. Und habe dabei immer mehr das Gefühl, tatsächlich nicht mehr da zu sein.
Ich frage mich, ob ich Sarah anrufen soll. Ob sie immer noch dieselbe Nummer hat und was es ändern würde, wenn ich sie anriefe. Vielleicht begebe ich mich gar nicht in Gefahr, wenn ich Sarah treffe. Und es würde mir gut tun. Bestimmt würde es mich aufmuntern, mit jemandem zu sprechen, der mir nicht bloß einen Kaffee, einen Tee, ein Abend- oder Mittagessen serviert. Mit jemandem, dessen Beziehung zu mir sich nicht in einer professionell an den Tag gelegten Höflichkeit erschöpft.
Ich werde
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