Shooting Stars (German Edition)
Vermögensfragen regeln. Schon ein paar Sätze nachdem sie sich mit halb verschlafener Stimme gemeldet hatte, waren wir wieder an einem Punkt, an dem wir nicht weiterkamen. Hatten wir uns erneut in den Enttäuschungen festgefahren, die wir uns in den vergangenen Jahren gegenseitig bereitet hatten.
Für ein oder zwei Minuten schwiegen wir uns an. Hörte ich ihr aufgeregtes Atmen am anderen Ende. Und hörte sie meine Enttäuschung darüber, dass wir wieder nichts Besseres wussten, als uns anzuschweigen. Nicht einmal am Telefon schafften wir für ein oder zwei Minuten, unsere Probleme auch nur halbwegs in den Griff zu bekommen. Wenigstens so zu tun, als ob alles irgendwie in Ordnung kommen könnte.
Ich wollte dem Gespräch eine neue Wendung geben. Aber mir fiel nichts ein. Es kam mir kein Satz in den Sinn, mit dem ich diese Hürde hätte überwinden können. Und auch Marian fand keinen Weg aus der frustrierenden Leere, die sich zwischen uns breitgemacht hatte.
Ruf mich an, wenn du etwas brauchst
, wollte ich sagen. Aber da hatte sie schon aufgelegt. Und als ich fünf Minuten später noch einmal ihre Nummer wählte, ging sie nicht mehr ans Telefon. Ignorierte sie das Klingeln und ich stellte mir vor, wie sie gerade dabei sein würde die Kinder zu wecken. Lukas und Elfi, die heute bestimmt in die Schule müssen, Lukas in die Grundschule und Elfi in den Kindergarten, von dem sie mir fröhlich erzählt hat, weil sie mit viel Freude hingeht, seit ich sie kaum noch gesehen habe.
7
Ich fahre nach Hamburg. In Köln habe ich mich in einen überfüllten ICE gezwängt, und während sich immer wieder Mitreisende an mir vorbeiquetschen, versuche ich, es mir zwischen zwei Waggons gemütlich zu machen. So gut das eben geht, wenn man keinen Sitzplatz reserviert hat und der Zug überbucht ist.
Neben mir steht mein Koffer. Ich habe überlegt, mich auf ihn zu setzen. Aber seine weiche Außenhaut würde mein Gewicht nicht tragen.
Der Schaffner kommt vorbei und ich frage ihn, ob in der ersten Klasse noch Plätze frei sind. Was die Aufzahlung kosten würde.
Er antwortet mir und ich bewundere die Freundlichkeit, die er dabei an den Tag legt. Die er aufrecht erhält, obwohl er heute bestimmt schon mit hunderten Fahrgästen gesprochen hat, die sich bei ihm beschwert haben, über etwas, das er nicht ändern kann, weil es nicht er war, der den Zug überbucht hat. Weil es auch nicht er war, der für die halbe Stunde Verspätung gesorgt hat. Sondern die Kontrollen, die sie überall durchführen. Eine Panik vor islamistischen Anschlägen treibt sie um. Sie hat sich anstelle der Angst vor den Linken in ihren Köpfen festgesetzt und in Dienstplänen und Anweisungen hat sich diese Panik niedergeschlagen. Jeder Zug wird durchsucht. Mit Sprengstoffhunden gehen sie durch die Waggons. Und ich weiß nicht, ob der eine Wagen, der heute ausgefallen ist, ihren Kontrollen zum Opfer gefallen ist. Ob hier nicht viele stehen müssen, weil sich ein paar Verantwortliche beruhigen wollten. Aber es stimmt schon. Sie handeln richtig und konsequent, denke ich. Denn sie wissen ja nicht, dass ich trotz aller Kontrollen in diesem Zug sitze. Sie ahnen nicht, dass ich es bin. Und weil sie an die islamistische Gefahr glauben, falle ich, ohne dass ich etwas dazu beitragen muss, durch ihr Täterraster.
Sogar an einem Tag wie heute, sogar jetzt, da die
Gesellschaft von einer niederträchtigen Macht bedroht wird
, rufen die Menschen hier im Zug immer noch ihre Konsumentenparolen aus sich heraus. Als ob das irgendetwas daran ändern könnte, dass ein Waggon ausgefallen ist, verlangen sie nach mehr Servicequalität, nach dem Komfort, für den sie schließlich ja auch bezahlt haben. Sie fordern die ihnen zustehenden Dienstleistungen, mehr Flexibilität, und sie schleudern ihre Konsumentenparolen immer und immer wieder den Schaffnern und Zugchefs ins Gesicht, die damit umzugehen gelernt haben, die sich über Monate und Jahre hinweg eine eigentümliche Art der Gelassenheit antrainiert haben. Sie nehmen die vielen Beschwerden der Fahrgäste auf ihre professionelle Weise vollkommen ernst und im selben Moment schaffen sie es, sie vollkommen zu ignorieren.
Wie Therapeuten, denke ich. Sie sind die Therapeuten ihrer Fahrgäste, die sie nicht nur mit Informationen versorgen, sondern denen sie immer auch das Gefühl geben, sicher zu sein. Wenn die Fahrgäste gestresst auf den Bahnsteigen hin- und herlaufen, stehen diese Schaffner und Zugchefs wie kleine Inseln am Zug, wie Anker, an
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