Shooting Stars (German Edition)
fahren und mich hier, in diesem Hotel, einzumieten. Ohne erwischt zu werden. Und ohne mit meiner unhandlichen AS50 aufzufallen.
Seit ich hier bin, seit den paar Tagen, die ich als Vorbereitungszeit miteinkalkuliert habe, fangen sie an, den Verkehr immer lückenloser zu kontrollieren. Sie schränken die Mobilität der Menschen massiv ein. Nehmen wirtschaftliche Schäden in Kauf. Akzeptieren, dass die Finanzmärkte zuerst verrückt gespielt haben und dass der Handel mit Wertpapieren in einem zweiten Schritt an mehreren Börsen oder Handelsplätzen, wie sie das nennen, vollkommen ausgesetzt werden musste. Sie nehmen das in Kauf und sie akzeptieren, dass das sogenannte öffentliche Leben dabei ist, in sich zusammenzubrechen.
Es sind bloß noch drei Tage, bis Brad und Angelina eintreffen. Wenn sie überhaupt kommen. Wenn sie das Risiko auf sich nehmen, doch noch nach München zu kommen. Um sich zu präsentieren, sich und vielleicht auch ihre vielen Kinder. Ich frage mich, warum sie nicht selbst welche bekommen haben. Was sie dazu bewogen hat, sie zu adoptieren, statt selbst Kinder zu bekommen. Oder haben sie das?
Ich weiß keine Antwort auf diese Frage und es ist mir auch egal, wie sie im Einzelnen zu ihren Kindern gekommen sind. Aber ich frage mich, was aus den Kindern werden wird.
Ich bin selbst erstaunt, weil ich zum ersten Mal die Konsequenzen einer Tat nicht aus meinem Kopf verbannen kann.
Natürlich kannte ich sie immer, diese Konsequenzen. Aber ich konnte sie bis heute immer weit genug von mir fernhalten, um handlungsfähig zu bleiben.
Dieter, denke ich. Ich weiß gar nicht, ob er Kinder hatte. Ich habe auch keine Ahnung, ob Heidi Kinder hatte. Doch, Heidi schon. Ich erinnere mich daran, wie sie nach ihren Schwangerschaften. Oder vielleicht war das auch Claudia. Denke ich. Und wundere mich darüber, wie wenig ich mich bisher damit auseinandergesetzt habe. Wie bei einem blinden Fleck habe ich die Tatsache verdrängt, dass sie auch Kinder haben könnten. Ich habe bei Stefan kurz darüber nachgedacht. Aber ich glaube, ich hätte nicht geschossen, wenn seine Kinder oder seine Frau.
Ich hätte vielleicht doch geschossen.
Nein. Ich weiß, ich hätte nicht. Ich hätte sie nur beobachtet. Vielleicht gewartet, bis er kommt. Und ich weiß nicht, jetzt, wenn ich darüber nachdenke, bin ich mir sicher, dass ich Stefan nicht neben seinen Kindern erschossen, ihn, während sie zugesehen hätten, nicht aus seiner Familie herausgeschossen hätte.
Gemeinsam mit den drei anderen, ja. Während er auf seiner Terrasse saß, ja. Während er sprach, lachte und mit ihnen redete, musste ich nicht darüber nachdenken. Aber ich frage mich, ob ich damals, ob ich vor allem in drei Tagen, falls Angelina und Brad überhaupt kommen und falls sie ihre Kinder dabei haben werden, ob ich dann in der Lage sein werde, zu handeln. Oder ob ich an meine Kinder denken werde, an Lukas und Elfi. Und an Marian.
Werden die Bilder, die ich von ihnen in mir herumtrage, in mir auftauchen und ich sie durch mein Zielfernrohr sehen, wenn ich Brad und Angelina sehen werde? Die imaginären Schatten meiner Kinder könnten mir die Sicht verstellen. Vielleicht werden sie mir die Kraft nehmen. Sie könnten mich aufhalten, mir meinen Handlungsspielraum und die Kraft nehmen, die ich brauche, um mich durchzusetzen.
Ich weiß, dass sie mich jetzt schon aufhalten. Es ist jetzt schon zu spät. Weil man, wenn man diese Gedanken einmal gedacht hat, wenn man die Bilder der Eigenen mit den Bildern derer vermischt, die man töten wird, weil ich die Gesichter von Marian, Lukas und Elfi nicht mehr aus der Sache heraushalten werde können, werde ich unfähig sein weiterzumachen.
Ich habe meine Unschuld verloren, denkt es in mir. Und ich verstehe diesen Gedanken nicht. Muss mir selbst erklären, was ich mit
Unschuld
meine. Und frage mich, wie man denken kann, was man selbst nicht versteht. Ob ich häufig Dinge denke, von denen ich nicht weiß, wie ich sie zu verstehen habe. Als ob ich, denke ich, und mir fällt Steve ein. Steve, seine Raufoss delayed und seine leuchtenden Augen, wenn er davon erzählt hat, was diese Munition in den richtigen Händen, in Verbindung mit der richtigen Waffe anrichten kann. Diese leuchtenden Augen, denke ich. Es sind diese unschuldig leuchtenden Augen, die ich meine. Und plötzlich bin ich mir sicher, dass es das falsche Wort ist. Dass es nicht um Unschuld geht. Es geht darum, dass man die Konsequenzen seiner Taten nicht wahrhaben will. Dass man
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