Shotgun Lovesongs
der Kirche, wo sich der Himmel bereits mit unzähligen dieser zerpflückten Blumen gefüllt hatte – Tausenden von Blütenblättern, die durch die Luft taumelten und sich in den Haaren der Frauen verfingen.
Und dann waren sie weg. Sie stiegen in einen Lincoln ein – ein älteres Modell zwar, aber eben doch eine Limousine. Zweifellos war sie im Fond mit der üblichen Flasche Sekt und einer Schachtel Pralinen ausgestattet. Und da war Beth, steckte ihren Kopf durch das Schiebedach, so glücklich, so wunderschön, so strahlend. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt zu mir herübergeschaut, mich überhaupt gesehen hat, während sie ihren Freunden und Verwandten Kusshände zuwarf, um dann wieder im Innern der Limousine zu verschwinden. Aber ich sah sie und ich werde diesen Augenblick nie vergessen, wie ich dort stand, mit den Blütenblättern in den Händen – den Blüten, die vergeblich darauf warteten, geworfen zu werden.
Während die Menge sich zerstreute, blieben Ronny und ich auf den Sandsteintreppen der kleinen Kirche sitzen. Die Glocken läuteten immer noch und unter unseren Füßen lagen überall Rosenblätter verstreut. Wir schauten in die Landschaft hinaus, wo ein einzelner Traktor die schwarze Erde umpflügte. Über ihm lauerte eine kleine Schar von Vögeln auf die Würmer, die beim Pflügen an die Erdoberfläche kamen.
»Ich hab einen echt beschissenen Kater«, sagte Ronny.
»Hmm.«
»Du machst keinen so besonders glücklichen Eindruck, Kumpel. Das zieht mich irgendwie runter.«
»Ist nur das Wetter, glaube ich. Es ist alles so schrecklich trübe.«
»Na, bald wird’s überall grün.«
»Sollen wir gehen?«
»Ich kann Mom bitten, uns mitzunehmen.«
»Okay.«
...
Als Ronny und seine Eltern schon längst im Palladium-Tanzsaal verschwunden waren, lief ich noch lange auf dem Parkplatz auf und ab. Ich hatte Angst, ich könnte vielleicht zu spät kommen, aber ich war auch zu stolz, um zu früh aufzutauchen. Und darum lief ich weiter, eine jämmerliche Gestalt in gemietetem Smoking, während mir der Kummerbund dermaßen in den Bauch schnitt, dass ich mir vorkam, als trüge ich ein Korsett. Ich sah zu, wie die Gäste in den Saal gingen, die meisten von ihnen gehörten zu Beth. Dann kamen fünf Autos mit Henrys Farmerverwandtschaft, alles kräftige, durchtrainierte, vor Gesundheit strotzende Leute, mit sonnengebräunten Gesichtern und Hälsen, auch wenn ihre mächtigen Brustkörbe und flachen Bäuche zweifellos so bleich waren wie die Unterseite eines Fischleibs. Sie kamen alle aus der Umgebung von Little Wing, aus den vielen kleinen Farmerstädtchen, in denen sich überall die gleiche traurige Geschichte vom wirtschaftlichen Niedergang vollzog: ein mit Brettern vernageltes Kino, eine leerstehende Woolworth- oder Sears-Roebuck-Filiale und ein Gebrauchtwagenhändler, der nie auch nur ein einziges Auto zu verkaufen schien. Ich winkte ein paar von Henrys Cousins und Onkeln zu, Männern, die ich flüchtig kannte. Die Sonne hatte die Wolken nach und nach vom Himmel gebrannt, der nun die Farbe eines Sorbetsangenommen hatte: lauter amerikanische Pastelltöne, die den fruchtbaren Horizont umwirbelten.
»Tja«, sagte ich schließlich laut zu mir selbst – »ich kann nicht den ganzen Abend hier draußen rumstehen.« Dann schleppte ich meinen erbärmlichen Hintern zum Empfang. Die Leute standen in kleinen Grüppchen zusammen, tranken Bier oder schlürften Cocktails aus roten Plastikbechern. Ich war dankbar, als Ronny sich mit zwei Bierdosen in der Hand zu mir gesellte.
»Trinken wir gegen den Kater an«, sagte er und stieß mit seiner Dose gegen meine.
»Dafür ist es wohl ein bisschen zu spät.«
»Jetzt werd mal’n bisschen fröhlicher, du Penner, und trink dein Bier.«
An einem Ende des rechteckigen Raumes befand sich eine Bühne, auf der ein DJ saß – ein etwas übergewichtiger Mann im Smoking und mit roten Hosenträgern. Ich sah ihm zu, wie er etwas auf seinem Laptop überprüfte und dann die hinter ihm stehende Wand aus überdimensionalen Lautsprechern zurechtrückte. Auch der Pfarrer war da. Er saß auf einem Klappstuhl aus Metall und hielt eine Flasche Grain Belt zwischen seinen dicken Fingern. Ich wusste, dass er früher einmal Schweinezüchter gewesen war. Er benutzte häufig Bilder aus der Landwirtschaft in seinen Predigten – sprach von der Ernte und den Früchten der Erde. Durch eine Reihe von Fenstern an einer Seite des Raumes konnte ich draußen ein paar unserer Highschoolkumpels sehen, wie
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