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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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saßen die Hochzeitsgäste auf den Bänken aus Eichenholz und fingerten an ihren Programmheften herum, blätterten die Seiten der Bibel durch, spielten Drei Gewinnt, lockerten ihre Schlipsknoten, zupften ihre Strumpfhosen zurecht, putzten sich die Nase, tauschten flüsternd irgendwelchen Klatsch und Tratsch aus, stellten ihre Hörgeräte ein, erzählten sich Geschichten … Die Witwe, der die Aufgabe der Organistin zugefallen war, griff auf der Empore in die Tasten der röchelnden alten Orgel und alle erhoben sich geräuschvoll. Sie spielte den Hochzeitsmarsch, als handelte es sich um eine Totenklage.
    Wir hatten einen fürchterlichen Kater. Unsere Nervenenden lagen brach, unsere Haut zuckte bei der leisesten Berührung und aus unseren Poren sickerte das Gift der zu vielen Biere und Schnäpse vom Vortag. Unsere Mütter warfen uns böse Blicke zu, aus tränenerfüllten Augen – wobei sie aber keineswegs vorhatten, diese Tränen auch tatsächlich zu vergießen –, und unsere Väter saßen einfach nur da, mit gleichgültigen, müden Gesichtern. In der Kirche war es selbst für einen Frühlingstag viel zu warm. Alle fächelten sich mit ihren Programmen Luft zu. Ich schaute über den Gang zu einer der Brautjungfern hinüber, auf deren rechter Schulter das Tattoo eines Einhorns prangte. Und die Brautjungfer direkt neben ihr hatte sich einen riesigen schwarzen Schmetterling aufs Dekolleté tätowieren lassen. Beide Geschöpfe wirkten, als wären sie tatsächlich in Bewegung, zumindest kam es mir in dem Moment so vor. Mir wurde langsam übel und ich glaube, ich bin einwenig hin- und hergeschwankt, wie ein junger grüner-Farnwedel im Wind. Wir warteten darauf, dass Beth sich endlich zeigte.
    Vielleicht sagt es ja schon alles, dass Henry nicht mich zu seinem Trauzeugen gemacht hat, sondern seinen jüngeren Bruder Simon, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal die Highschool abgeschlossen hatte. Simon war die richtige Wahl – keine Frage –, denn Familie geht natürlich immer vor. Und wenn Henry ein paar der Gedanken gekannt hätte, die mir durch den Kopf zuckten, oder die Gefühle, die sich in meinem Herzen breitmachten, während ich dort vorne in der Trinity Church neben ihm stand, dann hätte er mich gar nicht erst eingeladen. Geschweige denn mich zu einem der offiziellen Gefährten des Bräutigams ernannt.
    Wir hatten in der Nacht zuvor so richtig auf die Pauke gehauen. Keine Streiche oder so was – nur ein sehr ausgedehntes Trinkgelage im VFW, das wir um zwei Uhr morgens noch oben auf der Spitze der Futtermühle fortgesetzt hatten. Wir hatten zwei Kästen mit lauwarmem Bier die Treppen hochgeschleppt und noch eine ganze Weile trinkend und lachend dort oben gesessen.
    Melancholie ist ein sehr dramatisch klingendes Wort, aber manchmal trifft es eben doch genau das, was man sagen will. Wenn man sich zugleich ein bisschen glücklich und ein bisschen traurig fühlt. Die meisten Leute haben ein solches Gefühl bei ihrem Highschoolabschluss oder wenn ihr eigenes Kind zum ersten Mal in den Schulbus steigt. An dem Abend vor Beths und Henrys Hochzeit war das genau das Gefühl, das ich in mir spürte – Melancholie . Jedes Mal, wenn ich ein wenig lockerer wurde, es mir selbst erlaubte,etwas Spaß zu haben, überfielen mich wieder irgendwelche Gedanken an Beth und an diese Nacht, die wir miteinander verbracht hatten. Ich musste daran denken, dass sie die Einzige gewesen war, an die ich mich in meiner Not damals gewandt hatte. Und warum? Warum sie und nicht Ronny oder Henry oder sogar Eddy? Dachte sie auch an mich und hatte sie mich je geliebt?
    Ein Güterzug brauste durch die Nacht. Ich saß dort oben, sah ihm zu und fragte mich, wo er wohl hinfahren mochte. Dieses erste Album – Shotgun Lovesongs – war gerade bei einer kleinen Plattenfirma erschienen und begann bereits, sich besser zu verkaufen, als irgendjemand es erwartet hätte (jede Woche ein paar hundert Exemplare). Ich bekam zwar noch kein Geld, aber es riefen schon die ersten Reporter an. Damals freute ich mich noch über jedes Interview, über jede Gelegenheit, die sich mir bot, über das Album zu reden, über den Hühnerstall, über Wisconsin und über meinen Liebeskummer.
    Ronny tanzte oben auf dem Silo herum und warf unsere leeren Flaschen nach dem Güterzug. Er war gerade von einer Tour zurückgekehrt, bei der er sich ein blaues Auge geholt und einen Zahn verloren hatte – Souvenirs eines besonders grimmigen Stiers aus Cody, Wyoming.
    »Bist du nervös?«, fragte

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