Shotgun Lovesongs
Wusch-wusch-wusch-wusch-wusch . Wir drehten uns in unseren Stühlen um und schauten über die Felder. Die Pferde wurden unruhigund wieherten; in der zunehmenden Dunkelheit blitzten ihre Zähne auf, riesig und weiß. Dann kam plötzlich über den Baumwipfeln, nur etwa eine Meile von uns entfernt, ein Hubschrauber in Sicht. Er drückte die großen Äste der Bäume nieder und verwirbelte alle Blätter. Das Gras auf den Weiden tanzte entfesselt. Der Hubschrauber war mit einem Scheinwerfer ausgestattet, der nun über die Partygäste glitt. Viele von ihnen streckten ihm die Mittelfinger entgegen. Schließlich blieb das Licht bei Lee und Chloe hängen. Wir sahen, wie sich ein Mann mit einer Kamera aus dem Hubschrauber lehnte. Lee warf seine Stoffserviette auf den Tisch und stapfte in die Scheune.
»Es tut mir leid, Leute«, sagte Chloe laut zu allen, die am Tisch saßen. »Es tut mir wirklich wahnsinnig leid.« Und wir konnten erkennen, dass sie es ernst meinte.
Der Hubschrauber schwebte eine Weile über unserem Tisch, und an den Stellen, an denen die Tischdecke nicht mit Besteck oder Tontellern beschwert war, knallte sie laut wie ein Segel, während der Stoff über unsere Knie flatterte. Ronny stand von seinem Stuhl auf und stellte sich auf den Tisch. Seine glänzenden Cowboystiefel hoben sich scharf von dem weißen Tischtuch ab. Er trug eine Gürtelschnalle von einem Rodeo, das er einmal in Missoula gewonnen hatte.
»LASST MEINEN FREUND IN RUHE!«, schrie Ronny. »LASST IHN VERDAMMT NOCH MAL IN RUHE!« Er weinte. Wir zogen ihn wieder nach unten.
Der Hubschrauber blieb noch ein paar Minuten in der Luft über uns hängen, bis er schließlich einmal im Kreis um die Scheune flog und sich dann aus dem Staub machte. In der Zwischenzeit hatte sich der Abend über die Scheune gelegt; überall brannten kleine Kerzen und an manchenStellen auch Lampions. Einige von ihnen waren durch den Luftzug des Hubschraubers gelöscht worden und die Hochzeitsgäste gingen mit Feuerzeugen und Streichhölzern umher und zündeten unverdrossen so viele Lichter wieder an, wie sie konnten. Wir hörten, wie in der Scheune Sinatra gespielt wurde, und nahmen unsere Drinks mit hinein. Ronny war immer noch ganz aufgebracht.
Wir fanden sie im Keller, in einer Ecke. Chloe, die auf Lees Schoß saß, fuhr ihm mit den Fingern durch das dünner werdende Haar. In diesem Augenblick sah er älter aus. Ich reichte Lee eine braune Bierflasche hinüber und er nahm sie, lehnte den Kopf zurück und trank. Aber er schaute uns nicht an. Wir standen eine Weile mit verschränkten Armen da und schwiegen.
»Du kannst nichts dafür«, sagte Beth schließlich zu ihm. »Wir wissen, dass du das nicht gewollt hast.«
»Ich will das nicht«, sagte er vage. Es verging ein Moment, während wir darauf warteten, dass er zu Ende sprach. Schließlich sagte er: »Vielleicht brauche ich ein bisschen frische Luft.«
Wir folgten ihm nach draußen, auf die Weide, und Chloe und Beth zogen ihre hochhackigen Schuhe aus. Ich lockerte meinen Schlips. Wir gingen hinüber zu den Pferden, deren Augen immer noch ganz groß und wild waren. Ronny, der uns vorausgegangen war, sprach mit ihnen, mit leiser, besänftigender Stimme. Und dann sang er ihnen plötzlich etwas vor, rauh und spröde, wie ein ausgefranstes Wiegenlied, und wir blieben stehen und sahen ihm zu. Er sang: » Shall I stay, would it be a sin, if I can’t help, falling in love with you … «
Er berührte das Pferd, das direkt vor ihm stand, ließ seine knorrigen Rodeohände sanft auf dem samtigen Maulund den Muskeln der breiten Pferdebrust ruhen. Sein Mund war ganz nah am Kopf des Tieres, er sang ihm das Lied ins Ohr. Wir setzten uns ins Gras, schauten ihm zu und lauschten dem betörenden Klang seiner Stimme.
...
Nicht lange nach der Hochzeit zog Lee nach New York, und wir sahen ihn immer seltener. Es kamen zwar immer noch Pakete und manchmal auch Briefe, aber die Intervalle zwischen seinen Besuchen wurden immer länger und länger. Auf der Auffahrt zu seinem Haus begann das Gras zu wuchern. Schließlich gaben unsere Kinder es auf, nach ihm zu fragen. Aber wir hörten immer noch seine CDs, und meine Tochter fing sogar an, Gitarre zu spielen. Sie hatte ein Foto aus dem Rolling Stone neben ihr Bett an die Wand geklebt. Auf diesem Bild steht Lee irgendwo in der Welt auf der Bühne, ein Spotlight scheint ihm hell ins schweißnasse Gesicht, seine Augen sind vor Konzentration geschlossen, sein seitlich gelegter Mund schließt sich
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