Shotgun Lovesongs
kamen nur ein paar Minuten zu spät. Die Felder um die Scheune herum quollen über vor geparkten Fahrzeugenund Hochzeitsgästen, die sich mit ihren hohen Absätzen oder ihren zu engen, wahrscheinlich nur gemieteten Lackschuhen unbeholfen auf die Scheune zukämpften. Alte Leute klammerten sich an ihrer jüngeren Verwandtschaft fest. Die Pferde schauten zu und kauten vor sich hin. Wir sprangen aus dem Wagen, allesamt außer Atem und mit einem Lächeln im Gesicht. Chloe und Beth erstrahlten in jugendlicher Pracht. Chloes Kleid war ein wahres Wunder aus feinstem, zart paillettenbesetztem Stoff. Sie strich sich das Haar aus den Augen und puderte sich geschickt ein wenig Make-up ins Gesicht. Beth teilte sich mit ihr einen Lippenstift, und sie schminkten sich gegenseitig mit dem kleinen Finger die Lippen, weil es keinen Spiegel gab, oder zumindest keine Zeit für einen Spiegel. Lee bändigte seine Haare mit einer Handvoll Spucke. Ich tat es ihm nach und rückte meine Krawatte zurecht. Ronny grinste einfach nur glücklich. Und dann schlossen wir uns der Menge an, froh, dass wir alle zusammen hineingehen würden. Plötzlich blieb Lee stehen. Sein Gesicht war ganz weiß geworden.
Wir blieben ebenfalls stehen und schauten ihn an.
»Scheiße«, sagte er und klang völlig fassungslos. »Scheiße, Scheiße, Scheiße. Verdammte Kacke .«
»Deine Gitarre«, sagte ich. Er nickte und schüttelte dann den Kopf.
»Na, da wirst du wohl a cappella singen müssen«, sagte Chloe fröhlich und fasste ihn am Ellbogen. »Ist doch kein Drama, oder?«
Ich gab Lee einen Stups. »Ist schon okay, Kumpel«, sagte ich. »Dann hat Kipper wenigstens was, worüber er sich aufregen kann.«
Wir gingen weiter auf die Scheune zu, vor deren Eingang eine Horde von Leuten wartete. Sie sahen verdächtignach Fotografen aus, die sich unter die Hochzeitsgäste gemischt hatten. Plötzlich begannen sie, sich auf uns zuzubewegen. Sie hoben die Kameras über die Köpfe, während sie immer schneller wurden, bis einige von ihnen sogar rannten.
»Er kann diese Leute unmöglich alle gemietet haben«, sagte Beth, während wir ihnen weiter entgegengingen.
Chloe verstand als Erste. »Ist schon okay«, sagte sie. »Wirklich, es ist okay. Ich glaube, ein paar von diesen Clowns kenne ich sogar. Vielleicht lassen sie ja mit sich reden. Wir geben ihnen einfach, was sie haben wollen, so schnell wie’s geht. Dann haben wir’s hinter uns, oder?« Sie lehnte sich an Lees Arm und wir konnten sehen, dass sein Gesicht vor Wut ganz rot geworden war, dass er fuchsteufelswild war. Chloe legte ihre zarte Hand an sein Kinn und es schien, als wollte sie ihn dazu bringen, sie anzuschauen, als versuchte sie, ihn zu beruhigen.
Und dann hatten die Paparazzi sie umringt. Sie warfen Ronny fast um, als sie wie eine wild gewordene Büffelherde an ihm vorbeistürmten. Sie riefen Chloes Namen und Lees Namen, seinen Künstlernamen. Sie forderten Chloe und »Corvus« auf, zusammen zu posieren, einander zu umarmen. Sie rückten dem Paar ganz dicht auf den Leib. Einer von ihnen streckte sogar die Hand aus und zupfte den Saum von Chloes Kleid zurecht. Lee trat nach dem Mann, aber Chloe hielt ihn fest an der Hand und wir konnten sehen, wie sich ihr Gesicht veränderte. Ich konnte nicht umhin zu denken, dass es sogar irgendwie härter wurde. Ihre Lippen wurden voller, ihre Augen kühl und einladend wie Kieselsteine in einem Fluss. Sie schob ein Bein nach vorn, die Absätze souverän im Schlamm verankert. Sie war sich ihres Aussehens bewusst.
Lee riss sich grob von ihr los und stapfte weiter Richtung Scheune. Ich ging mit ihm mit, Ronny folgte uns. Lee entdeckte Kip am Scheunentor, wo er damit beschäftigt war, die Gäste zu begrüßen. Kip schaute gerade auf seine Uhr, als Lee ihn an der Schulter packte und ihn von der Menge wegstieß, um die Ecke des Gebäudes herum. Dann fasste er ihn an seinem schwarzen Schlips und zog Kips Gesicht dicht an seines heran.
»Was soll der Scheiß, Mann?«, sagte er. »Was ziehst du hier für einen Scheiß ab?«
Kip zuckte mit den Schultern, entfernte Lees Hand von seinem Schlips und strich ihn gerade. »He, jede Publicity ist gute Publicity, oder nicht?« sagte er. »Du bist eben berühmt. Deine Freundin ist berühmt. Ich weiß nicht, ich hätte gedacht, du wärst an so was gewöhnt.« Er grinste spöttisch. »Ist doch keine schlimme Sache. Und überhaupt«, fügte er mit offenkundiger Genugtuung hinzu, »schließlich warst du es, der sie eingeladen
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