Shotgun Lovesongs
hat.«
»Nicht hier, Mann!«, knurrte Lee. »Nicht hier. Niemals, auf keinen Fall hier ! Das ist mein Zuhause, okay? Das hier ist mein Zuhause !« Er kochte vor Wut und war den Tränen nah. Er lief vor Kip auf und ab, mit weißgeballten Fäusten.
»Nur noch diese eine Sache«, sagte Lee, der seine Stimme plötzlich wieder unter Kontrolle hatte. Er war wieder ganz nah an Kips Gesicht gerückt und die Adern auf seiner Stirn pulsierten. Ich hatte ihn noch nie zuvor so wütend gesehen. Ronny legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog ihn sanft weg. »Ich werde das eine Lied singen. Und dann sind wir fertig miteinander. Hörst du mich? Für immer. Ruf mich nie wieder an. Verstehst du?«
»Es ist schon okay«, sagte Ronny. »He, es ist alles okay, Kumpel.«
Dann gingen wir in die Scheune und suchten unsere Plätze. Das Gebäude war randvoll mit Leuten: Manche saßen im Heuboden, die meisten aber in Stuhlreihen auf dem riesigen, neu abgeschliffenen Boden aus Holzplanken und einige, die nicht mehr hineingepasst hatten, sogar im gemauerten Keller, wo die Skelette der uralten Verstrebungen noch in der Erde verankert waren. Noch mehr Leute hatten sich draußen versammelt, gingen dort hin und her und spähten durch den Türspalt hinein. Von den Dachsparren hingen Votivkerzen herab und die Türrahmen waren mit hauchdünnen Stoffen verkleidet.
Durch die Außenwände der Scheune sickerte das Sonnenlicht. Dann schaltete sich eine laut dröhnende Musikanlage ein und spielte Pachelbels Kanon in D-Dur, und aus dem hinteren Teil der Scheune kam Kips Braut in ihrem weißen Kleid geschritten, einen Arm eng in die rechte Armbeuge ihres Vaters eingehakt. Sie schien förmlich zu leuchten und die zerknitterten Wangen ihres Vaters waren ganz nass von Tränen. Sie gingen sehr langsam an den Hochzeitsgästen vorbei nach vorn, zu Kip und dem Pfarrer, und während ich ihnen dabei zusah, fragte ich mich, ob das langsame Tempo wohl der Braut geschuldet war, die ihren schönsten Tag feiern wollte, oder dem alternden Vater, der im Begriff stand, sie dem Bräutigam zu übergeben. Die Blitzlichter knatterten. Manche von ihnen waren immer noch auf Lee und Chloe gerichtet.
Nach ungefähr der Hälfte der Zeremonie gab der Pfarrer Lee ein Zeichen. Er stand leise von seinem Stuhl auf und ging nach vorne. Ich sah, wie er Kip fest die Hand schüttelte, dann die Braut auf die Wange küsste und ihr etwas ins Ohr flüsterte, das ihr ein Lächeln entlockte, wie ich es noch nie zuvor an ihr gesehen hatte. Niemand wäre je daraufgekommen, dass er wütend auf Kip war, so unendlich liebenswürdig gab er sich. Dann ging er zum Mikrofon. Alle Kameras waren auf ihn gerichtet. Er zog seinen verknitterten Anzug gerade und strich sich die Haare glatt.
»Ich habe meine Gitarre vergessen«, sagte er kleinlaut.
Die dankbare Menge lachte und das war gut. Ein wenig von der geladenen Spannung der Zeremonie entlud sich und einige Leute klatschten und pfiffen sogar. Lee zuckte mit den Schultern, hob seine leeren Hände hoch und zog ein Gesicht, als wollte er sagen, ach, was soll’s.
»Also hört mal, Leute«, sagte er, »ich dachte mir, wir singen einfach zusammen. Etwas zum Mitsingen. Wir könnten uns vielleicht einfach alle an den Händen fassen und zusammen singen. Ich glaube, die meisten von euch kennen den Text dieses Liedes, und wenn nicht, dann kenne ich ihn wenigstens. Ich werde ihn euch vorsingen. Also keine Angst, okay? Ihr solltet niemals Angst haben zu singen.«
Ich griff mir Beths Hand auf der einen und Ronnys auf der anderen Seite. Wir schauten den Mittelgang entlang zu unserem Freund, wie er dort vorne stand und zu singen begann. Wir sangen mit ihm. Wir kannten alle den Text.
Wise men say, only fools rush in
But I can’t help, falling in love with you.
Shall I stay, would it be a sin,
if I can’t help, falling in love with you.
In diesem Moment waren wir eine Stadt, wir alle zusammen, ein Chor aus Freunden und Fremden, alle in ihrem schönsten Sonntagsstaat, und wir berührten einander, hielten uns an den Händen und sangen. Unsere Stimmenschnellten in die Höhe, geradewegs hinauf zu den Dachsparren, und ließen die Flammen der Kerzen tanzen; es waren genug Stimmen, um von dem rostigen Blechdach widerzuhallen und im Echo hinaus auf die Felder getragen zu werden, wo die Pferde vermutlich die Köpfe hoben und ihre langen Ohren spitzten: Was das wohl für ein seltsamer neuer Klang war. Ich spürte Ronnys Hand in meiner, spürte seine schwielige Haut,
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